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9
Sep
2012

Aus den Fugen ... Sulzer

Aus den Fugen von Alain Claude Sulzer


Hammerklaviersonate Nr. 29 von Beethoven und die Goldberg-Variationen

Zitat:
„Die Hammerklaviersonate macht auch anspruchsvoll. Von ihr berührt, wird man ungeduldig gegenüber vielem Mittelmäßigen und Mäßigen, das sich wer weiß wie aufspielt und doch nichts anderes ist als eine höhere Form der Belästigung.“

Joachim Kaiser, Musik-, Literatur-und Theaterkritiker

Dieses Zitat lässt sich nach der Lektüre des unten besprochenen Buches eins zu eins übertragen. Alain Claude Sulzer brilliert mit seiner aktuellen Erzählung.

Nähert man sich dem neuen Roman von Alain Claude Sulzer „Aus den Fugen“ mit den Goldberg-Variationen von J.S. Bach an, dann erschließen sich einem die einzelnen Kapitel zu feinsinnigen Variationen, die das Hauptthema vielfältig, harmonisch und spannend verflechten. Und der innere Zusammenhang der Variationen liefert das gemeinsame Thema: Es ist der Konflikt zwischen persönlicher Identität und sozialer Rolle.

Aria
Marek Olsberg


Die erste Stimme, sozusagen die einleitende Aria, die Sulzer „komponiert“ und dem Leser vorstellt, ist die Stimme von Marek Olsberg. Marek Olsberg, ein begnadeter, weltberühmter Ausnahmepianist, ein introvertiertes Genie, ein musikalischer Popstar, verlässt ohne Vorankündigung am Ende des ersten musikalischen Satzes die Bühne der Berliner Philharmonie und bricht aus seinem bisherigen Leben aus.

„Marek hatte seinem Leben, seiner Außenwirkung, im Handumdrehen eine neue Richtung gegeben. Die Wendung war radikal, um so radikaler, als sie nicht beabsichtigt, also auch für ihn überraschend gewesen war. Desto schwerer würden die Folgen wiegen, über die er sich erst später Gedanken machen wollte, wenn überhaupt. … Sein Leben war aus den Fugen geraten. Er war allein. Er war frei. Niemand folgte ihm. … Aus den Fugen, um sich in alle Richtungen zu verzweigen.“

Nachfolgend erweitert Sulzer mit verschiedenen Personen aus dem Publikum und den Olsberg- Mitarbeitern seinen Zyklus.

Variation 1
( die nachfolgenden Variationen sind nicht chronologisch aufgeführt!)
Astrid Maurer

Man findet an Olsbergs Seite Astrid Maurer, seit vielen Jahren seine engste Mitarbeiterin und Vertraute. Er kann sich hundertfünfzigprozentig auf sie verlassen, doch im entscheidendem Moment seines Lebens verschläft sie seinen Abgang.

Variation 2
Solveig und Esther


Oder die zwei Freundinnen Solveig und Esther, deren Motivation, das Olsberg-Konzert zu besuchen, äußerst unterschiedlich ausfällt. Esther erlebt im Laufe der weiteren Kapitel eine bitterböse Überraschung, die ihre langjährige Ehe mit Thomas, einem Arzt, mächtig ins Schwanken bringt. Ein spannendes Personenportrait!

Variation 3 und 4
Johannes Melzer und Marina-Bettina


Die Variation Johannes Melzer, lang schon glücklich (?!) verheiratet mit Renate, der ständig „daran dachte, wie es wäre, wenn jetzt eine Frau anwesend wäre, die ihm einen geblasen hätte“,sich mit Marina/Bettina verabredet, um mit ihr während seines beruflichen Berlinaufenthaltes Olsbergs Konzert zu besuchen. Aus diesem Vorhaben wird nichts, denn sie begeben sich lieber in ein französisches Lokal, in dem ausschließlich von sächsischen Angestellten auf französisch kommuniziert wird ( eine sehr sympathische, einfach zum Schmunzeln, erzählte Episode). Nach einem fürstlichen Diner finden sie sich im Hotelzimmer wieder und die „hundertachtzig Euro die Stunde, von der sie wahrscheinlich die Hälfte abgeben musste,“ war sie ihm wert.
„Es kommt mir vor, als seien wir uns schon einmal begegnet“ bemerkt er beim anfänglichen Treffen. Sein großes Erwachen und Erkennen kommt dann allerdings zu spät.

Variation 5
Sophie und Klara


Sophie und Klara bilden eine weitere Variation in Sulzers Werk. Tante und Nichte. Sophie, die Tante von Klara, ist wegen der enttäuschten Liebe zum Gatten ihrer Schwester zur heimlichen Alkoholikerin geworden. Klara hat dies jedoch längst bemerkt, lässt ihre Tante beim gemeinsamen Olsberg-Konzert auflaufen und erst nach dem unvermutetem schlagartigem Beenden des Abends, klärt sich die Stimmung zwischen den Beiden auf, nachdem Klara von ihrer Beziehung zum Stiefvater erzählt.

Variaton 6
Lorenz, der Kellner


Wie soll es in Sulzers Romanen auch anders sein, ein Kellner, mit einer nicht unbedeutenden Rolle, der seinen Ruf und seine Freiheit riskiert, um endlich aus seinem Schattendasein treten zu können, wird in dem Personengerüst mit eingebaut.
„Worauf er lange, aber am Ende doch nicht auf ewig hatte bauen können, sein gutes Aussehen, ging allmählich den Weg jeder Attraktivität. Was übrig blieb – und nicht ganz so viel zählte -, waren die guten Manieren, das sichere Auftreten, die feinst austarierte Balance zwischen Arroganz und Unterwürfigkeit, die es zu halten galt, lauter Dinge, die für einen Leihkellner noch etwas wichtiger waren als für einen Angestellten im Restaurant. Leihkellner, wie das klang! Es klang wie ein abgetragener, speckiger Anzug, den man in den Kostümverleih gebracht und dort vergessen hatte. Aber Angestellter hatte er nie sein wollen. Allein die Vorstellung peinigte ihn.“

Um dieser Existenz zu entfliehen, eröffnet sich ihm am späteren Abend, nachdem Olsberg sein eigenes Konzert sang-und klanglos verlassen hatte, eine verrückte Chance, die er am Schopfe packt. Es gelingt ihm, einige Werte aus der Villa zusammenrauben, in der der anschließende Galaabend zu Ehren Olsberg hätte stattfinden sollen, die ihm eine Lebensveränderung ermöglichen würde. Mit Entdeckung durch die Hausdame rechnet Lorenz nicht.

Variation 7 und 8
Claudius und Nico


In einer Variation wird Claudius vorgestellt. Er ist der Agent von Marek Olsberg und dessen früherer Liebhaber. Claudius ist mit seiner aktuellen Liebe, dem gutaussehendem Nico, in einem Taxi unterwegs zur Philharmonie. Während der Autofahrt kommt es zu einem Streit zwischen dem ungleichen Liebespaar. Nico steigt bei der nächst besten Möglichkeit aus und lässt Claudius allein zu dem Konzert weiterfahren. Während Nico sich nach einem Kinobesuch in einer Bar wiederfindet, begreift Claudius langsam, dass diese Beziehung endgültig vorbei ist.

Dur und Moll

Im zweiten Teil des Romans balanciert Sulzer seine Variationen aus. Meist in Moll, während im ersten Teil Dur vorherrscht.

Coda

Mit einer Coda, einem angehängten ausklingendem Teil ( aus dem italienischem: musikalisch = Schwanz), enden die Variationen. Vierzig kleine belletristische Kompositionen (Kapitel) liegen zwischen Aria und Coda.

Und alleinig Astrid Maurers Abgang, der im Grunde genommen keiner ist, weil ihr Part mit der Einnahme einer Migränetablette endet, ist in meinen Augen nicht ganz glücklich gelungen.

Warum Marek Olsberg sich für seinen Weg entscheidet, das erfahren die LeserInnen von Sulzer nicht explizit. Spielraum für eigene Vorstellungen bleibt genügend.

Und auch sonst bietet Alain Claude Sulzer natürlich keine zufriedenstellenden Lösungen für die Protagonisten an. Das ist bei einem solchen Buch tabu!
Das Leben geht weiter und ein blinder Klavierstimmer, vielleicht der Autor selbst?, stellt zum Schluss auf einem neuen Konzert fest ( ein Duo, das auf zwei Klavieren spielt), dass er mehr Arbeit haben würde, als zwei Wochen zuvor, als sich Olsberg für das Konzert einen Steinway auswählte.

Ein sprachlich wunderbares neues Werk vom Schriftsteller Alain Claude Sulzer. Leise beginnend, mit einem Donnerschlag ( nicht nur) in der Mitte aufwartend und der zum Ende hin mit mancher Überraschung brilliert.

Biografische Parallelitäten zu Vladimir Horowitz blitzen hervor und Beethoven und Bach begleiten mich als Leserin durch die Kapitel. Aus diesem Grund füge ich im Anschluss dieser Buchbesprechung einige Links ein.

Ein Sohn J. S. Bachs soll folgende Aussage festgehalten haben:

„Einst äußerte der Graf ( Hermann Carl von Keyserlingk) gegen Bach, dass er gern einige Clavierstücke für seinen Goldberg ( hochbegabter Cembalist) haben möchte, die so sanften und etwas muntern Charakters wären, dass er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte. Bach glaubte, diesen Wunsch am Besten durch Variationen erfüllen zu können, die er bisher, der stets gleichen Grundharmonie wegen, für eine undankbare Arbeit gehalten hatte.“

„Aus den Fugen“, ein Buch zum Genießen.

Die kursiv gesetzten Textstellen sind zitiert und dem Buch entnommen. Bis auf den letzten Absatz zur Goldberg-Erklärung, dieser ist Wikipedia entnommen.


Aus der Coda die zwei dort nicht namentlich genannten Pianisten. Jedoch dürfte es sich um dieses Paar handeln:

http://www.youtube.com/watch?v=SD2g3lELjoQ

Vladimir Horowitz
Carmen-Variationen ( weil ich die sehr schön finde und die Goldberg-Variationen oben schon angespielt wurden und unten von Chen Pi-Hsien interpretiert werden)

http://www.youtube.com/watch?v=QkrfOg1pTOc

Chen Pi-Hsien ( Goldberg-Variationen)

http://www.youtube.com/watch?v=-mHbF3YAAYs

Horowitz, Legende und Wirklichkeit

http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/article94PSV-1.310581

( Kleine Änderung/Ergänzung am 10.09.2012 vorgenommen)
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"Vielleicht war vor den Lippen schon das Flüstern da und ohne Bäume tanzte schon das Laub."Ossip Emiljewitsch Mandelstam

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Zuletzt aktualisiert: 26. Mai, 22:16

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