lou salome ("Vielleicht war vor den Lippen schon das Flüstern da und ohne Bäume tanzte schon das Laub."Ossip Emiljewitsch Mandelstam) : Rubrik:Eigentexte
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"Vielleicht war vor den Lippen schon das Flüstern da und ohne Bäume tanzte schon das Laub."Ossip Emiljewitsch Mandelstam
lou-salome
lou-salome
2018-05-26T20:16:38Z
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1
2000-01-01T00:00:00Z
lou salome
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Kein Aprilscherz
http://nietzsche.twoday.net/stories/kein-aprilscherz/
<b>Ab dem 1. April 2ooodreizehn werde ich, lou salome vom twodayblog, auf wordpress wechseln. Man wird meine neuen Einträge unter <a href="http://schriftwechsel.wordpress.com/">http://schriftwechsel.wordpress.com/</a> finden.</b><br />
<br />
Blogwechsel zu <i>schriftwechsel</i><br />
<br />
Lange habe ich hin und her überlegt, ob ich diesen kleinen Blog, der mir sehr ans Herz gewachsen ist, still legen soll. Jedoch habe ich seit Monaten keine Möglichkeit mehr, neue Bilder hochzuladen, da ich diesen Blog kostenlos nutze. Mein gebührenfreier Speicherplatz ist längst übervoll. Zudem habe ich Aufbruchstimmung, ein neues Design zu gestalten. Inhaltlich wird sich nichts ändern.<br />
<br />
Nach dem 1. April werde ich hier noch eine Buchbesprechung veröffentlichen, die auch auf <i>schriftwechsel</i> online gestellt wird.<br />
Anfangs werde ich auf <i>schriftwechsel</i> noch ein wenig basteln müssen, u.a. möchte ich die gesamten Buchbesprechungen/Rezensionen rüber kopieren. Dies wird etwas Zeit brauchen. <br />
<br />
Ich möchte mich für jahrelange Blogtreue bedanken ... den stillen Lesern und den Lesern, die mit einem Kommentar meine Seite belebten. <br />
<br />
Vielen Dank!<br />
<br />
Auf ein Wiedersehen auf #schriftwechsel#!
lou-salome
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2013-03-31T05:56:00Z
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unen enkh, tündük, aitmatov und steppentöne
http://nietzsche.twoday.net/stories/unen-enkh-tuenduek-aitmatov-und-steppentoene/
<b>"Und dieses Buch, es ist mein Körper,<br />
Und dieses Wort, es ist meine Seele ..."</b><br />
<br />
Ja, bitte, noch eine Schale Kumys!<br />
Kumys ist milchweiß und schmeckt säuerlich, prickelnd, mit mandelartigem Nachgeschmack. Das Nationalgetränk aus vergorener und geräucherter Stutenmilch schmeckt nicht nur mir. Nippend beobachte ich die Jurtensiedlung am Fuß grauer Felsen, die sie sich wie frische Champignonköpfe aus satten grünen Matten hervor schieben. <br />
Leider müssen wir weiter. Kurze Zeit später stapfen wir mit unseren Pferden bergab, winken bunten flatternden Röcken zurück, fixieren unsere Blicke auf den Pfad und dann wieder weit voraus auf den blassblauen Spiegel des Issyk Kul. Der Heiße See. Er liegt mitten im Tian Shan, den Himmelsbergen und ist der See, über den der berühmte kirgisische Dichter seinen Weißen Dampfer ziehen ließ. Wir wandern durch Tschingis Aitmatovs Land.<br />
Mehrere tausend Jahre zogen die Kirgisen als Nomaden durch die Berge, begleitet von einer praktischen Unterkunft, die in zwei Stunden auf-und abzubauen ist. <br />
Der Jurte.<br />
Aus einem kreisförmigen Scherengitter, sechs oder sieben Meter im Durchmesser, ragen Stangen schräg hoch zur Mitte und treffen sich im Tündük. Was für eine ausgeklügelte Konstruktion!<br />
Matten aus Federgras sind rundum ans Holz gebunden, dicke Filzbahnen mit Kordeln und Tauen darüber festgezurrt. Teppiche über einer Plastikplane bedecken den Boden, Filzstreifen mit farbenprächtigen Ornamenten schmücken die Wände
<br />
<br />
Also, obiger Text ist nach einer Reisebeschreibung entstanden. Ich selbst war noch nie in Kirgisien. Wenn man allerdings Bücher von Tschingis Aitmatov liest, hat man das Gefühl, sich auf weiter kirgisischer Ebene zu befinden. Man reitet unter silberner Mondsichel einer Herde Yaks entgegen, über dem Rücken der Pferde spürt man die federnde Steppe, die Sättel knarren und ächzen und aus der Ferne
still! ... leise! hörst du auch die fernen Töne? Ob das Dschamilja und Danijar sind?<br />
<br />
Wunderschön, wild und anmutend sind Aitmatov's Texte. Klage und Sehnsucht spricht aus ihnen heraus. Und im "Ein Tag länger als ein Leben" zitiert Aitmatov Grigor Narekazi, einen Mönch aus dem 10. Jahrhundert:<br />
<br />
Und dieses Buch, es ist mein Körper,<br />
Und dieses Wort, es ist meine Seele ... .<br />
<br />
<br />
Unen Enkh wurde 1958 in der Mongolei geboren. Nach einem Studium für angewandte und Bildende Kunst in Prag und Budapest lebt und arbeitet er seit 1988 als freier Künstler und Illustrator in Deutschland.<br />
Nach öffnen des eingefügten Links bekommt man eine Jurteninstallation des Künstlers zu entdecken:<br />
<br />
<a href="http://www.museum-biedermann.de/cms/upload/ausstellung/Back_To_The_Roots/Enkh_oT_breit.jpg">http://www.museum-biedermann.de/cms/upload/ausstellung/Back_To_The_Roots/Enkh_oT_breit.jpg</a> <br />
<br />
und hinter diesem Link verstecken sich weitere Werke des Künstlers:<br />
<br />
<a href="http://www.enkh.de/#oben">http://www.enkh.de/#oben</a> <br />
<br />
Er war im vorletzten Jahr mit seiner Ausstellung in unserer Stadt. Es war hochinteressant, wie aus der Verarbeitung von Rosshaar, das Biegen von Eisendrähten und das Knoten von Hanfschnüren Installationen entstehen können.<br />
<br />
jbs 2ooodreizehn
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2013-03-27T21:35:00Z
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Textsplitter-Vabanque
http://nietzsche.twoday.net/stories/textsplitter-vabanque/
<b>Textsplitter aus:<br />
<br />
Vabanque</b><br />
<br />
Es war eine kleine Prozession von Pfarrer, Messdiener und Sargträgern, die ihren Weg Richtung ausgehobenes Grab aufnahmen. <br />
Dorfbewohner rückten auf und eine fremde junge Frau, deren Gesichtszüge Melancholie und Mitgefühl ausdrückten, schloss sich dem Trauerzug an. Neugierig drängelte sich Nada, Tomislav's achtjährige Enkelin, vor. Sie wollte wissen, woher die Fremde kam und wieso ist sie dort war. Aber bevor sie fragen konnte, verschwand die Unbekannte mit dem roten Zopf urplötzlich aus ihrem Blickfeld. Nach ein paar Minuten entdeckte Nada sie jedoch wieder und jetzt baumelten in deren Händen ein Paar alte staubig braune Damenschuhe, sogenannte Schnürer, die das Aussehen verschrumpelter Kartoffeln hatten, sowie ein Paket gelblich verblichener Zeitungen und eine Salatgurke. <br />
<br />
Nada beobachtete, wie die rote Zora, Nada hatte sie blitzschnell auf diesen Namen getauft, immer wieder schluckte und sie fragte sich, was die Frau mit diesen merkwürdigen Utensilien auf einem Friedhof zu suchen hatte. Blumen, so wusste Nada, Briefe, Ringe, all das legten Angehörige, Freunde oder Bekannte mit in ein Grab. Aber alte Schuhe? Alte Zeitungen. Eine Gurke? Nada fixierte die Frau mit dem roten Zopf noch neugieriger, beschloss, sie nicht aus den Augen zu lassen und wagte kaum, weiter zu denken.<br />
Sie wird doch wohl nicht? Das Grab ist doch kein Mülleimer! <br />
Nada zog ihren kleinen Faltenrock über ihre schmalen Hüften höher und stellte sich auf Zehenspitzen, um den Dorfpfarrer aus ihrer Reihe besser sehen zu können.<br />
Die Träger hielten. Nickten dem Geistlichen zu, der über die schwarze Menge hinweg die Worte, Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub emotionslos näselte. Der Sarg senkte sich in die Tiefe und als die ersten Blumen ins Grab fielen, wachte die Rote auf. Sie warf mit anfänglichem zögern den Packen Zeitungen, dann die Schuhe <br />
und schließlich die Gurke auf den Sarg. Ein empörtes Raunen ging durch die Menge. <br />
Sie aber drehte sich abrupt um, achtete weiterhin nicht auf die Trauerfeier und schlenderte an das andere Ende des Friedhofes. Setzte sich mit dem Rücken an eine Marmorgrabplatten und drehte sich über Drago Kumicic eine Zigarette.<br />
<br />
Nada wird sich noch Jahre später an diese merkwürdig wirkende Verabschiedung erinnern.<br />
Während sich die Trauergesellschaft auflöste, vernahm man hier und da schon wieder ein verstecktes Lachen, aber auch immer lauter werdendes Gezeter der Frauen. Die Rote verstand nicht, was auf kroatisch geschimpft wurde und verstand es doch. <br />
<br />
Von der Straße war ein altersschwacher Motor zu hören, in dessen Geruckel Nada jaulte: <br />
Ach lieber Deda, lieber Opa, ich will nicht heim laufen. Ich will mit euch faaahren.<br />
<br />
Du gehst mit den Weibsleuten, Nada. Der alte Bozi und ich müssen reden. Männersachen. Basta!<br />
<br />
Männersachen. Ja! Über Männersachen. Vom Matko, deinem Deda, und mir. Und der verdammten Ustascha, grummelte Bozidar zwischen den Lippen hervor und zog an der Filterlosen, die er zwischen Daumen und Zeigefinger quetschte.<br />
<br />
jbs 2ooodreizehn
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2013-03-25T12:25:00Z
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big crash II
http://nietzsche.twoday.net/stories/big-crash-ii/
<b>Textsplitter II aus "Big Crash" ( Arbeitstitel )<br />
<br />
Dr. Mehring war todmüde. Sein Feierabend lockte vor der Kühlerhaube. Endlich raus aus der Gerichtsmedizin, rein ins Auto. Nach Hause. Um diese Zeit am Morgen nickten ihm Nachtkerzen verschlafen vom Straßengraben aus zu und Spinnen, sonst immer listig auf der Lauer nach Beute, schliefen berauscht vom Herbsttau in ihren Netzen. Mehring sah das alles nicht. Zehn Stunden Nachtdienst in der Pathologie und nach langem wieder einmal ein Fall, der kniffelig war. Ein Endergebnis hatte er noch nicht diktieren können. Ihm war nicht klar, wie die Frau ihren Suizid hatte durchführen können. Im Keller, in einem Schrank mit geschlossener Tür, erhängt. <br />
<br />
Nicht natürlicher Tod, das Kreuz neben dem 'nicht' prangte fett und bedeutungsvoll auf dem Leichenschauschein. Vielleicht hatte der Notarzt ihm damit auf der Todesbescheinigung eine Nachricht zukommen lassen wollen. So wie: Denk daran, was ein Rechtsmediziner übersieht, bleibt für immer unentdeckt. In Mehrings Kopf holperte es. Warum hatte sie sich im Schrank versteckt? Wieso auf diese Art? Weshalb im Haus, wo sie doch wissen müsste, welch einen Schock sie ihrem Mann versetzen würde, wenn er sie finden würde, wenn er nicht selbst
? Lauter W-Fragen! <br />
Wieso? Weshalb? Warum? Wie lange? Wer? <br />
<br />
Mehring blickte geradeaus auf die Autobahn, die ihm in der Frühe seltsam eng und leer vorkam. <br />
Nunja, murmelte er müde, eine Lösung werde ich heute Früh nicht mehr finden. Ausgestorben, sind heute alle Berufspendler ausgestorben? Ja dann, Straßen frei für Mehring! Recht so, recht so!<br />
Er drehte den Pegel seines neuen Autoradios auf 85 und zog mit dem Septembernebel die Bässe ein, die tief und vehement in den Basskeller des kleinen Apparates hineingriffen. Jetzt könnte die Heimfahrt doppelt so lang dauern, entzückte er sich, diese Errungenschaft hat sich gelohnt, auch wenn der Kredit höher ausgefallen war, als ihm lieb war. Aber, so hatte er es seiner Judith gesagt, aber! Irgendeine Schwäche müsse er doch haben dürfen. Wenn er sonst keine hätte. <br />
<br />
Chee Yun spielte auf der Violine Oblivion. Mehring blinzelte. Oblivion von Astor Piazolla. Wie wunderbar! Jeden Ton kannte er. Während seines Medizinstudiums hatte er sie in sein Gehirn implantiert, nein, regelrecht einzementiert.<br />
Schwer fielen seine Lider zu. Nur kurz. Und doch zu lang.<br />
Judith hatte ihn immer wieder vor Sekundenschlaf gewarnt, gerade nach langen Arbeitsnächten sei die Gefahr für ihn ziemlich groß. Er hatte nur gelacht. Er arbeite nun schon so lange nachts, die Müdigkeit hätte er im Griff.<br />
<br />
Sein Wagen schlenkerte. Erschrocken schlug er die Augen wieder auf. Schnell hatte er den neuen Citroen wieder im Griff und fuhr direkt auf eine Brücke zu. Sitzt da nicht jemand? Erneut blinzelte er. Jedoch war es zu dunkel, um Näheres zu erkennen. Er rieb sich die Augen. Da wird doch wohl niemand Steine werfen wollen? Das hatten wir doch erst kürzlich in der Zeitung stehen. Vier Zwanzigjährige auf dem Weg von der Disco nach Hause. Maren, die Tochter seines Kollegen saß mit in dem Unglückswagen, sie hatte ihm alles erzählt. Wie es passierte. <br />
<br />
Dr. Mehrings Blick auf den Bordcomputer zeigte hundertvierundfünfzig Stundenkilometer an. Der Franzose lief prächtig! Er rieb erneut seine Augen. Und passierte die Brücke, eine von vielen auf der Strecke nach Hause.<br />
<br />
Seine Gedanken waren bei Maren. Was hatte sie noch einmal erzählt? Sie wäre mit einem Mülli, einem Ingo und ihrer besten Freundin Susanne in der Heidedisco gewesen? Und auf der Rückfahrt, es fing schon an zu dämmern, rief Mülli, der den alten Kadett fuhr plötzlich: <br />
Hickinnbotham!<br />
Sag's nochmal, wollte Ingo hören.<br />
Hick hick hick in botham!<br />
Daraus kannste nen Rapp machen, Mülli, nen geilen Rap! Ingo grölte, er habe sich regelrecht in dieses Wort hineingesteigert.<br />
Susanne hätte sich beide Ohren zugehalten, während Maren genervt aus dem Wagenfenster schaute.<br />
Ich will in mein Bääättt! jaulte Susanne los. Aber niemand nahm sie ernst. <br />
Ingo hielt plötzlich eine Flasche Vodka in der Hand. Willste noch nen Schluck? hätte er Mülli gefragt und ihm den Fusel vor das Gesicht gehalten.<br />
Ich fahre, siehste doch! Biste schon so knülle, das du das nicht mehr blickst? Jetzt komm, zieh die Flasche wech. Wie soll ich da lenken? <br />
Mülli hätte Ingo regelrecht angeblafft.<br />
Und wie finnste den, Ingo ließ nicht locker: Hick in Botham alles geht vorbei nur der Wahnsinn bleibt, yeeeeeah! Hicks! Sorry, der gehörte nicht dazu. Also weiter, der Tod kommt auf dich zu und schon kam es im Nu - .<br />
Maren habe ihn angeschrien, aufzuhören, das sei doch nur blöd! <br />
Ihre Stimmung war völlig gekippt. Gute Laune war gestern.<br />
Das am Seitenfenster ein Maisfeld vorbeiflog und Heidschnucken in völliger Gelassenheit wiederkäuten nahm niemand im Wagen wahr. Eine Moorlandschaft neben der Strecke entlockte Susanne dann merkwürdigerweise doch ein: Guckt ma, Drostes Knabe im Moor! Aber niemand hörte zu. In dem Moment, als Maren sagen wollte, dass die Freunde beim nächsten Mal ohne sie in die Disco könnten, schrie Ingo wieder auf: Gugg ma, Mülli, bliggst de das? Sinn da nich zvei auffer Brücke? Ham die eddwa Steine inner Hand?<br />
<br />
Mehring nahm sich vor, nach seinem Nachmittagsschlaf Maren anzurufen , um zu erfahren, wie es der Truppe gehen würde. Immerhin waren die vier mit ziemlich schweren Verletzungen nach dem Autocrash in die Klinik gekommen. Der oder die Steinewerfer waren noch nicht gefasst.<br />
<br />
Dr. Mehring gähnte. Wo er wieder seine Gedanken hatte. Er sollte jetzt doch besser auf die Straße achten, noch dreißig Kilometer bis zur Kaffeetasse und seinem Bett. Er gähnte erneut. Seine Lider wurden schwer. Dann waren sie zu. <br />
Sekundenlang. <br />
Zu lang.<br />
Plötzlich ein Schuss. Oder war es ein Knall? Auf jeden Fall war er schlagartig wieder wach. Nur war es zu spät. Der brandneue Citroen schlingerte heftig. Zu heftig. Zog an die Leitplanke, Mehring stieg voll auf die Bremse. Zu spät. Der Wagen kollidierte erneut mit der Schutzplanke und ein paar Meter weiter schien ein Reifen zu platzen. Bevor Mehring irgendetwas realisieren konnte, wurde alles um ihn herum schwarz.<br />
<br />
Vorsichtig versuchte er seine Augen zu öffnen. Was ihm nicht ganz gelang. Blut klebte an Stirn und Wimpern. Verteilte sich langsam über sein Gesicht. Er spürte mit Zeige-und Mittelfinger den Orbitabögen nach. <br />
Nichts gebrochen. Ein Glück,! Aber da! Was ist das? Mehrings Finger ertastete eine Platzwunde oberhalb der rechten Augenbraue. Aus dieser floss die klebrige Masse ununterbrochen. <br />
<br />
Tupfer! Schere! Naht! Schnell! Dr. Mehring lachte zynisch. Ja, Schwester Marrii wäre jetzt sofort zur Stelle. So wie in der letzten Woche, als die Sanitäter eine Schwerverletzte von der Autobahn in die Klinik brachten. Unfall durch Steinewerfer. Seine Kollegen aus der Chirurgie waren wie immer unterbesetzt. Der Pförtner rief bei ihm an, ob er Kapazitäten frei hätte, eine Frau wäre eingeliefert worden, vierunddreißig Jahre alt, schwere Schnittverletzungen im Oberarmbereich und ein Pneumothorax links. Müsse sofort in den OP. Schwester Marrii stand schon steril am Tisch, sie hätte sicher gerne selbst genäht, fragte dann aber nur: Resolon oder Supramid Extra?<br />
<br />
Wieso ihm dies jetzt nur alles einfiel, fragte er sich und versuchte mit der anderen Hand an seine Hosentasche zu kommen. Irgendwie muss ich doch ans Taschentuch kommen, fluchte er. Es ging nicht. Mit verschleiertem Blick stellte fest, das die Seitentür den linken Arm eingequetscht hatte und der geöffnete Airbag drückte ihm fast die Luft ab. Für einen kleinen Moment kamen ihm Zweifel auf, ob sich das alles in seiner Realität abspielen würde oder ob er in einem schlechten Film mitspielte.<br />
Aus der Entfernung war ein Martinshorn zu hören. Rettung! Wieder schloss Mehring seine Augen. Und bevor bei ihm alles erneut dunkel wurde, schlüpfte ein letzter Akkord Oblivion in sein Ohr.</b><br />
<br />
jbs 2ooodreizehn
lou-salome
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2013-03-22T16:37:00Z
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big crash
http://nietzsche.twoday.net/stories/big-crash/
<b>Textsplitter aus "Big Crash" ( Arbeitstitel )<br />
<br />
Sie wartete. <br />
Und sie saß. <br />
Nein, sie balancierte. Sie balancierte ihr Gesäß auf einem Brückengeländer aus und ihre langen dünnen Beine, die in stonewashed Jeans steckten und in roten Chucks endeten, kippelten hin und her, wie beim Pedalspiel an der Orgel. Dazu entfaltete sich unter ihr ein Klangraum ganz eigenwilliger Art. Einsetzender Berufsverkehr rauschte in auf- und abschwellenden Tönen vorbei. Manche Autos gaben Lichtsignale.<br />
An. <br />
Aus. <br />
An. <br />
Aus.<br />
Erst verhaltend. Dann fordernd. Warnend. Durch die Windschutzscheiben blickten unsichere Gesichter zu ihr hinauf. Wirft sie oder wirft sie nicht?<br />
<br />
Luise hätte ihnen gerne die Zunge raus gestreckt. Vor Freude. <br />
Weil seine SMS noch ganz warm in ihrer Jackentasche lag.<br />
Aber zu dem Zeitpunkt war das völlig unmöglich. Ihre Zunge war mit etwas ganz anderem beschäftigt. Die Wartezeit wuchs in eine Blase hinein. Wuchs und wuchs. Weiß-nebelig stieg der Ballon auf, über Lippen und Nase. Nur noch wenige Atemzüge passten in den Hohlraum. Vorsichtig, sehr vorsichtig, damit es nicht zum vorzeitigen Bersten kam, presste sie kühle Morgenluft in die fragile Materie.<br />
<br />
Plötzlich ein Knall. In Bruchteilen von Sekunden breitete sich der neue Ton wellenartig aus. Schnellte über die Autobahn, in die angrenzenden Maisfelder, tänzelte über deren Fahnen, schwang sich über Stacheldrahtzäune und ließ sich vom Horizont verschlucken.<br />
Luise fiel.<br />
Nicht weit. <br />
Nicht tief. </b><br />
<br />
jbs 2ooodreizehn
lou-salome
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2013-03-15T19:23:00Z
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Laricio
http://nietzsche.twoday.net/stories/laricio/
<img title="" height="400" alt="Korsika-2-158" width="267" src="https://static.twoday.net/nietzsche/images/Korsika-2-158.jpg" /><br />
Laricio-Kiefer<br />
jbs 2ooozehn<br />
<br />
Bäume finde ich fantastisch! Es ist unglaublich, wie sie anscheinend mit nichts wachsen und überleben können. Diese Kiefer zum Beispiel, die wächst auf fast 1400 Meter auf Korsika. Und nicht vorstellbar ist das Alter, welches diese Bäume erreichen können: bis zu tausend Jahre!
lou-salome
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2012-11-28T21:17:00Z
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Fax und ein türkischer Gewürzladen
http://nietzsche.twoday.net/stories/fax-und-ein-tuerkischer-gewuerzladen/
<b>Der Zusammenhang zwischen einem türkischen Gewürzladen und einem Fax</b><br />
<br />
Vor ca. drei Wochen rief mich die türkische Freundin meiner Tochter an. Ganz aufgelöst. Frau Bürkle, schnaufte sie etwas, Frau Bürkle, haben Sie ein Faxgerät daheim?<br />
Nein, antwortete ich, haben wir wohl, aber nicht angeschlossen. Aber in der Praxis, da gäbe es ein Gerät. Warum?<br />
Sie erklärte mir am Telefon, ihre Eltern mit zwei kleineren Schwestern und einer Nichte würden an der türkischen Grenze festsitzen und nicht durch den Zoll kommen, weil sie ihre Fahrzeugpapiere daheim vergessen hätten. Der Wagen wurde vor der langen Fahrt reisetauglich gemacht und der Fahrzeugschein blieb liegen. Die Eltern hätten keine Chance den Zoll zu passieren, wenn nicht die gültigen Papiere vorliegen würden. Ob wir die faxen könnten. Die Nummer vom Faxgerät des Zollbüros habe sie im Handy gespeichert. Es wären derzeit über 40°Celsius, das Land befände sich wie in einem Bratenschlauch. Und den Wagen könne man nicht verlassen, es würde gestohlen werden, wie bei den Raben
wäre man erst in der Türkei, die Parkplätze dort seien sicher und beaufsichtigt, da könne man dann wenigstens den Wagen verlassen, um in den Raststätten etwas zu trinken. Aber so
<br />
<br />
Ich bin in fünf Minuten bei Dir, Melek, warte an der Haustür!<br />
<br />
Ein paar Minuten später stieg sie erleichtert ein und erzählte mir, dass ihr eine Freundin, von der sie wusste, dort in der Wohnung, stehe ein Fax, Hilfe verweigert hätte. Und die Post habe ja jetzt um halb sechs zu.<br />
Während der Autofahrt unterhielten wir uns unter anderem über die derzeitige Gartenernte, über Zucchini, Gurken und Bohnen und auch über Auberginen. Ich erzählte ihr von einem persischem Gericht, bestehend aus Auberginen, Zwiebeln und Rührei und als Gewürz, ganz wichtig, Safran. Da dieses aber in Deutschland so teuer sei, nehme ich dafür immer Kurkuma. <br />
Ja, meinte sie, Safran sei in der Türkei sehr billig, sie könne sich gar nicht vorstellen, dass es hier so teuer sei.<br />
<br />
Mittlerweile waren wir an der Praxis angekommen. Wegen Urlaub waren die Räume verschlossen und dunkel. Ich machte Licht, mein Weg und Blick zielte auf die Ecke, in der das Gerät, normalerweise, steht. Aber
gähnende Leere. Da fiel mir ein, dass wir wegen Wartungsarbeiten die EDV-Anlage einschließlich Faxgerät weggegeben hatten.<br />
Oh manno, stöhnte ich flaspig, oh menno, das habe ich ja total vergessen! Was machen wir jetzt? Mittlerweile war es achtzehn Uhr.<br />
Vielleicht Mediamarkt? überlegte Melek.<br />
Ja, das ist, erwiderte ich erfreut. Wenn nicht da, wo sollte sonst ein Faxgerät sein!<br />
<br />
Wir stiegen wieder ins Auto und fuhren an den Stadtrand zum Mediamarkt. An der Infotheke erklärte ich dem Mitarbeiter worum es ginge und bat ihm um das Versenden des Fahrzeugsscheines.<br />
Privates darf ich nicht faxen! Unfreundlich schnodderte der Mitarbeiter uns an. Ich ließ nicht locker. Das dürfe doch nicht wahr sein, er könne das doch kulanter Weise machen. Er habe doch gerade mitbekommen, dass dort an der Grenze, bei der Hitze, fünf Personen im Wagen festsitzen und nicht weiterfahren könnten.<br />
Ist mir wurscht. Ich darf private Dinge nicht faxen.<br />
Schluss. Aus.<br />
Der machte doch tatsächlich seine Schotten runter!<br />
<br />
Ich schnappte nur nach Luft und Melek zog mich am Ärmel zum Ausgang. Was nun?<br />
Der Polizeiposten! Ja, der fiel mir plötzlich ein. Der war nur zwei Straßen weiter. Wenn nicht die Truppe dort faxen wird und darf
dann!<br />
<br />
Wir parkten vor dem Polizeigebäude. Stiefelten hinein, Treppe hinauf und standen in einem sterilen Büro, durch eine schwere Glasscheibe von den Beamten getrennt.<br />
Ja, bitte, was kann ich für sie tun? Der Diensthabende schaute etwas desinteressiert auf uns zwei so unterschiedlichen Leutchen.<br />
<br />
Ich erzählte ihm, warum und wieso wir hier wären.<br />
Ja, dann schieben sie mir mal die Papiere und Nummer des Grenzbüros hier durch. Schauen wir mal, ob es klappen wird.<br />
<br />
Drei Minuten später hatten wir den Fahrzeugschein und die Benachrichtigung, dass das Fax am türkischen Grenzposten angekommen sei.<br />
<br />
Jehepp, rief Melek glücklich.<br />
<br />
Eine Woche später ist sie ihren Eltern nachgeflogen, um mit der Familie dort ihren dreiwöchigen Jahresurlaub zu verbringen. Die Papiere hat sie natürlich mitgenommen.<br />
<br />
Und ich, ich liege gerade im Garten und genieße meinen freien Tag, da höre ich das Telefon. Laufe an den Apparat, erblicke auf dem Display eine mir fremde Handynummer, hebe ab.<br />
<br />
Hallo! Hallo, Frau Bürkle! Hier ist Melek!<br />
<br />
Ja, Melek, rufe ich erstaunt und freudig ins Telefon, bist Du schon wieder zurück?<br />
<br />
Nein! Nein, ich stehe hier in der Türkei in einem Gewürzladen und kann meinem Vater nicht mehr sagen, wie das Gewürz hieß. Das für die Auberginen. Und? Wie ist nochmal der Name? Ich will Ihnen einen Beutel mit nach Deutschland bringen.<br />
<br />
Und soll ich dazu mal was sagen? Ich bin unheimlich gerührt und irgendwie ein wenig glücklich.<br />
<br />
jb<br />
geradeeben 2ooozwölf
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2012-08-28T15:27:00Z
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Hinter der Wand das Meer
http://nietzsche.twoday.net/stories/hinter-der-wand-das-meer/
Splitter aus meiner Erzählung, die im Werden ist. <br />
Arbeitstitel - <b>Hinter der Wand das Meer</b><br />
<br />
Noch schlafen hinter herabgelassenen staubigen Jalousien alltagsmüde Geister.<br />
Alisa genießt den stillen Beginn des neuen Tages.<br />
<br />
Matko sitzt wie jeden Morgen auf einer alten Holzbank hinter seinem Haus und lauscht Zischelwinden, die, vom Dachrand fallend, seine Gesichtsfalten streicheln. Seit fünf Tagen bietet sich Alisa das gleiche Bild. Ein Greis, umgeben von blühenden Oleanderbüschen und Zypressen, in deren Geäst Grasmücken im raschen Tempo ihre kurzen Strophen rau schwätzend zum Besten geben. Zusammengerollt träumt ein rotgestreifter Kater auf hartem Lehm und flinke grüne Eidechsen jagen von Zeit zu Zeit Banderillos der Sonne auf schon gewärmter Steinmauer nach.<br />
Matko sitzt bewegungslos. Sein Blick späht geradeaus, über Tomaten-und Paprikastauden, Hang<br />
hinunter, Richtung offenes Meer. Vielleicht will er den Horizont wiederfinden, der seit jeher in den tükisblauen Farben der Adria und des Himmels ertrinkt. Zumindest in den Sommermonaten, denn in dieser Zeit fällt so gut wie nie ein Tropfen Regen und der Himmel bleibt klar.
<br />
<br />
jbs 2ooozwölf
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2012-06-01T22:18:00Z
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Fado und Wolkenwasserfall
http://nietzsche.twoday.net/stories/fado-und-wolkenwasserfall/
<b>Wolkenwasserfall</b><br />
oder<br />
Ein Reiseerlebnis<br />
<br />
Hängende Gletscher, möchte man meinen, lecken über einen Gebirgsgrat. Langsam, majestätisch neigen sie sich auf der anderen Seite des Gebirges dem Tal zu. Wir halten den Atem an, um jeden Moment festzuhalten. Ein Wolkenwasserfall, dick, weiß, zuckerwattig, und grandios ergießt er sich ins Tal.<br />
Rechts und links des Wolkengemäldes steigen schroff braune Felswänden vom Meeresufer hinauf bis zu dem knapp zweitausend Meter hohen Zentralgebirge Madeiras.<br />
Dieses Bild wird sich tief in mein Gedächtnis eingraben.<br />
<br />
Es fällt uns schwer, den Weg an die Küste wieder anzutreten. Aber nach halb neun dunkelt es ziemlich schnell und vor allem wird es sehr kalt. Und der Weg, der uns Richtung Calheta führen wird, schraubt sich regelrecht in die Felsen, kurvt um Felsnasen, taucht unter Überhänge hoch über die in Terrassen angelegten Dörfer. Noch leuchten die Felsen rot im Abendlicht, dann aber verschluckt uns langsam die Nebelwatte. <br />
<br />
Um eine kleine Vorstellung zu bekommen, wie grandios dieses Schauspiel war, linke ich eine Bildadresse ein. <br />
(Leider kann ich auf dieser Seite keine eigenen Bilder mehr einfügen.) Jedoch ist diese Aufnahme auch nicht schlecht.<br />
<br />
<a href="http://home.arcor.de/hardy.zobel/Bilder/IMG_2535.JPG">http://home.arcor.de/hardy.zobel/Bilder/IMG_2535.JPG</a><br />
<br />
Und etwas Fado aus Funchal: <br />
<a href="http://www.youtube.com/watch?v=zUGRuadOcvw&feature=related">http://www.youtube.com/watch?v=zUGRuadOcvw&feature=related</a> <br />
<br />
jbs 2ooozwölf
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2012-05-19T22:38:00Z
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Kruses Stern
http://nietzsche.twoday.net/stories/kruses-stern/
Textsplitter aus: <br />
<b>Kruses Stern</b><br />
von<br />
jbs 2007<br />
<br />
<img title="" height="267" alt="frostflowers" width="400" src="https://static.twoday.net/nietzsche/images/frostflowers.jpg" /><br />
<br />
Der Flug ohne Rückfahrkarte endete auf den Diomedes Inseln. Weit weit entfernt jeglicher europäischer Zivilisation, die ihm in den letzten Jahren immer mehr zuwider geworden war. Und mittendrin, am Ende der Welt, auf Zeitzonen balancierend, schultert Adam Kruse sein Gepäck und macht sich auf den Weg.<br />
Seine schlotternden Tränensäcke straffen sich im gleißenden Licht und begeistert nimmt Kruse eisige Felslandschaften wahr. Die unfassbare Schönheit arktischer Natur versöhnt seine Seele. <br />
<br />
Seine ehemals fahrigen feuchten Finger lernen schnell. Das Lenkrad vom Ski-Doo liegt fest in den Händen, die bis vor Kurzem nur Tastaturen und Handys kannten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese bei der Robbenarbeit zuverlässig anpacken werden.<br />
<br />
Aufgeregte Huskies begleiten seine heutige Fahrt über das Eis zum Wasserloch, an dem er nach Robben jagen will. Jaulend und bellend vor Freude über die angekündigte Ausfahrt, lassen sich die vierpfotigen Kameraden ins Geschirr legen. Die Jagd durch die Schneelandschaft beginnt. Nur noch das Fahrgeräusch des Ski-Doos unterbricht die majestetische Ruhe der Gegend. <br />
Ich, der Jäger und Sammler, sein angedeutetes Schmunzeln verliert sich hinter winzigen Eiszapfen, die sich in seinem Vollbart gebildet haben und er lässt die rauschhafte Schönheit der Eisregion, über der sich jetzt ein Himmel wölbt, der wie eine Fata Morgana mit betörenden Farben lockt, ein neues Lebensgefühl vermitteln. <br />
<br />
Steller hatte ihm wieder geschrieben. Von Tokio aus will er über die Diomedes Inseln nach Hause fliegen.<br />
Wer weiß, wann oder ob man sich sonst wiedersehen wird, mailte er ihm vor Tagen.<br />
Kruse freut sich auf den einzigen Freund, er muss ihm viel von den letzten Wochen erzählen.<br />
<br />
Das Wasserloch, an dem die Robben von Zeit zu Zeit nach Luft schnappen, liegt einige Kilometer vom Inuitdorf entfernt. Das zeitige Frühjahr bewirkt, das die Schneeschmelze früher einsetzt. Sommer in der Beringstrasse sind nur kurz und Kruse ist gespannt, wie das Packeis sich aufdriften wird, um stündlich neue Gebilde zu entwerfen. Er wird der einzige Gast auf dieser Kunstausstellung sein. Die Vernissage ist eröffnet.<br />
<br />
Am Wasserloch angekommen, legen sich die Hunde sofort auf den Schnee. Für kurze Zeit hört Kruse noch ihr fiepen, schlucken und hecheln, dann kehrt Ruhe ein und ihre Köpfe schlummern zwischen festen Vorderpfoten.<br />
Kruse selbst sitzt vor der dunklen Öffnung, beobachtet kleinste Bewegungen auf der glatten Wasseroberfläche, die nur von reflektierenden Sonnenblitzen glitzert.<br />
Krusenstern! Krusensterne! Aus der Tiefe seiner Erinnerung hört er seine Tochter rufen. Papa, zeigst du mir wieder unseren Stern am Himmel?<br />
Immer, wenn er nach langen Arbeitstagen zu Hause abzuschalten versuchte, erzählte er Christine etwas sentimental Geschichten vom Nordmeer und den Tschuktschen und dann wartete er sehnsüchtig auf ihre plappernden Worte: Kommt Tschurken! Kommt nur! Da ist Papa's Krusenstern!<br />
<br />
Sanftes Beben auf dem Eis bewegt Kruse zum Aufblicken. Die Huskies sind schlagartig hellwach. Mit gespitzten Ohren wittern sie in Südrichtung. Das Beben lässt eine ungeheure Kraft ahnen, Motorengeräusch durchschneidet die weite Stille. Ein riesiger Atomeisbrecher nimmt genau die Richtung ein, in der Kruse sitzt. Adam packt flink seine Jagdutensilien auf das Ski-Doo, gibt den Hunden Befehle und setzt mit seinem Schneefahrzeug in Richtung Dorf zurück.<br />
Plötzlich macht er wieder Halt. Er ist neugierig. Auf diesen Kraftkoloss von Schiff. Er sucht sich eine Anhöhe, lenkt die Hunde hinauf und bekommt einen Blick über die Fahrrinne, die das Schiff frei bricht. Aus seiner Perspektive erinnern ihn die Risse auf dem Eis an ein unregelmäßiges EKG. Zielsicher fährt der Eisbrecher durch das Packeis, nicht weit dahinter kommt ein zweites Schiff zum Vorschein. Ein typisches Kreuzfahrtschiff durchzieht die vorgezogene Furche von Flocken und Eis.<br />
Am Bug findet sich eine bunte Menschenmasse zusammen, rufend klammern sie sich an die Reling. Ihre Aaahs und Ooooh's liegen fett auf der kalten Polarluft und unerwartet für Kruse, zeigt plötzlich ein Finger in seine Richtung. Fotoapparate werden ausgepackt, surrende Filmkameras gesellen sich zu den Aaaahs und Oooohs, eine in Bärenfell gekleidete Frau winkt mit einem Tuch in seine Richtung.<br />
Adam Kruse sieht sich um. Vielleicht ein Eisbär? denkt er, und vor lauter Beobachten bemerke ich nichts? Aber nichts dergleichen entdeckt sein suchender Blick. Das Spektakel gilt ihm. <br />
Ja, ich bin ihr Objekt. Eine willkommene Abwechselung auf ihrer Tagestour all inklusive! In Kruse steigt Ärger auf.<br />
Mit lautem Ho! Ho! Ho! feuert er die Hunde an, startet sein Ski-Doo und steuert es Richtung Dorf. <br />
Bis hierher verfolgen sie mich, diese diese ach! Kruse kneift seine Lippen zusammen und mit rasender Geschwindigkeit nähert er sich seiner Inuitsiedlung. Die Kufen zischen über den Schnee.<br />
Den Riss im Eis bemerkt er zu spät. Der ist so breit, dass er mit dem Ski-Doo hängen bleibt. Auf einer bizarr glitzernden Treibeismasse bleibt er halb betäubt liegen. Entfernt hört er, wie seine Huskies in ein vereintes Heulen und Bellen einstimmen. Er schließt seine Augen und Steller, sein alter Kumpel Willi Steller taucht auf. Dann wird alles schwarz.<br />
Dabei wollte er ihm doch erzählen, das er die richtige Entscheidung getroffen hatte.<br />
<br />
(c)<br />
jbs 2ooozwölf<br />
<br />
Stichworte: Burn-Out-Gesellschaft - Innere Kündigung - Neuanfang - Zeitzone - Diomedes Inseln - Freundschaft - Beringstrasse<br />
<br />
Aus meiner Facebook-Nachbarschaft linke ich ein Video ein und ich hoffe, es ist hier aufrufbar. Es zeigt den Eisgang vor Schlüttsiel in der Nordsee vom 16.02.2012.<br />
Dieses Video war für mich die Inspiration, einen etwas älteren Text aus meinen Textgeburten hervorzukramen und ihn hier online zu stellen.<br />
<br />
<a href="http://www.youtube.com/watch?v=8yNOuPSceaM">http://www.youtube.com/watch?v=8yNOuPSceaM</a>
lou-salome
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Copyright © 2012 lou-salome
2012-02-16T13:38:00Z
-
Der Gesang der Schneckenhäuser
http://nietzsche.twoday.net/stories/der-gesang-der-schneckenhaeuser/
<b>Der Gesang der Schneckenhäuser ein Roman von Marion Tauschwitz<br />
erschienen 2011 im Verlag André Thiele, 209 Seiten<br />
<br />
Vorgedanken zum Buch</b><br />
<br />
Es gibt Themen, mit denen sich der Mensch nicht sehr gerne beschäftigt. Er grenzt deshalb unangenehme oder unerlaubte Gefühle aus seinem Bewusstsein aus, er verdrängt sie. Er schützt sein Ich mit Verdrängung vor Unbehagen oder Angst.<br />
<br />
Ein mit Abscheu und Angst einflößendes Thema ist die sexualisierte Misshandlung an Menschen. <br />
<br />
Aktuell und brisant wurde vom Fall des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss im Jahr 2010 in der Öffentlichkeit berichtet. Beim ehemaligen SPD-Politiker Tauss wurde in seiner Privatwohnung belastendes kinderpornografisches Material gefunden. Anfängliche subtile Verdrehungen der Bericht erstattenden Medien sorgten für hochemotionale Reaktionen, denn tausende Kinder in Deutschland werden jährlich Opfer von sexualisiertem Missbrauch.<br />
Diese Kinder finden häufig keine Hilfe, u.a. auch, weil viele Erwachsene wegsehen oder sich gelähmt fühlen, sich dem Unfassbaren entgegenzustellen. Abhängig und ausgenutzt bleiben kleine Seelen dem abnormen Treiben Erwachsener ausgeliefert.<br />
( Wo kann Hilfe gefunden werden?: Keine Gewalt gegen Kinder - Links am Ende dieser Buchbesprechung).<br />
<br />
Kann die Gesellschaft dagegen steuern?<br />
Ja! Sie kann!<br />
Möglichkeiten bestehen u.a. aus Verbreitung von Wort und Schrift. <br />
<br />
Eine zeitgenössische Schriftstellerin aus Heidelberg hat diesen Schritt unternommen. Sie öffnet den Einblick in eine fremde Welt, vor der gefürchtet und auf die abwehrend reagiert wird, weil moralische und ethische Grenzen überschritten werden.<br />
<br />
<br />
<b>Fremdbestimmte Charaktere</b><br />
<br />
In poetischer Sprache entwirft die Autorin Marion Tauschwitz das Bild einer jungen hübschen Frau, die durch die Heirat eines wohlhabenden Mannes vermeintlich aus der Enge ihres Alltages erlöst wird. Zu spät erkennt sie, welch ein perfides Spiel dieser Mann mit ihr treibt und ein zukünftiges Leben schmiedet, das er für seine abnormen Vorstellungen benutzen wird. Was als Traum, als ein Märchen begann, endet tragisch. <br />
<br />
<cite><i>Ihre Beine strampelten ins Leere. Ihre Schreie dämpften das Tuch. Dann lag sie da wie tot. <br />
>> Die Mutter meiner Tochter ist keine Nutte. Du bist keine Nutte.>> <br />
Roh und rhythmisch rammte er ihr die Worte in den Leib. <br />
>> Keine Nutte! Keine Nutte!<< <br />
Hemmungslos wütete er in ihr, bis er schluchzend und zitternd auf ihr zusammensackte. Mariefleure lag starr und unbeweglich. Schmerz und Schock lähmten sie. <br />
<br />
Nächtelang lag Mariefleure wach und drehte und wendete die Worte, die sie noch mehr verletzt hatten als der barbarische Überfall selbst: >> Nur dazu bist Du gemacht. Nur dazu habe ich Dich gebraucht.<< <br />
Er hatte sie nie begehrt, sondern als Brutofen für seine Tochter missbraucht.</i></cite><br />
<br />
Erschreckende, beklemmende Szenen wie obig zitierte, streut die Autorin jedoch sparsam in ihrem Roman ein. Die Geschehen werden in der Regel nicht explizit dargestellt. Marion Tauschwitz arbeitet mit Auslassungen, die die Ausgestaltung der Vergewaltigungen der Imagination des Lesers überlässt. Es genügt, dass Serge zum Diner mit seiner minderjährigen Tochter eine weiße Lilie auf den Tisch stellt, der Champagner in den Gläsern perlt und im Bad besinnliche Düfte überschäumen, bevor es zur äußeren und inneren Reinigung, laut des Vaters, kommt. Isabelle blickt zu aufgereihten Schneckenhäusern auf der Glaskonsole im Bad, in die sie hineinkriecht, sich einen Schutzwall für die kommenden schrecklichen 10 Minuten aufbaut - diese Bilder reichen aus.<br />
<br />
Serge charismatische Ausstrahlung täuscht fast alle Personen, die mit ihm in Kontakt kommen. Sei es anfangs die Bordellbesitzerin Luzifer oder später die Hausangestellten oder die Lehrer an Isabelle's weiterführenden Schule. Sobald in Serge der Verdacht keimt, diese Menschen fangen an zu ahnen, was sich im engeren familiären Umfeld abspielt, entlässt er sie oder gibt sich als großzügiger Spender aus. Luzifer, die Jahre später einen Versuch unternimmt, ihren ehemaligen Zögling Mariefleure alias Laura wiederzutreffen, wird von ihm regelrecht abgefertigt
<br />
<br />
<cite><i>Die Episode mit Verona ist abgeschlossen. Und damit möchte ich die Bekanntschaft mit Dir nicht weiter pflegen. Muss ich noch direkter werden?</i></cite><br />
<br />
Damit langen die sparsamen Beschreibungen der Nebenakteure in diesem Roman. Es ist nicht notwendig, mehr über sie zu erfahren, denn Serge führt mit Mariefleure und Isabelle ein sehr zurückgezogenes Leben, fast in Einsiedelei, da niemand Einblick in sein teuflisches Treiben erhalten darf. Deshalb reicht die relativ farblos dargestellte Beschreibung der Nebendarsteller ( im Gegenzug: fein gezeichnete Charaktere der Protagonisten), sie müssen sich im Verlauf der Geschichte auflösen, um die Einsamkeit um Mariefleure und Isabelle zu verstärken.<br />
<br />
Eine einzige Person bekommt Serge's kriminelle Energie dann doch zu spüren. Es ist ein älterer, etwas debiler ehemaliger Fischer, der in nächster Nachbarschaft zu den Montrudiers am Meer lebt. Liebevoll bestimmt die Autorin seine Rolle. Sein Außenseiterleben kann ihn allerdings nicht vor der Fremdbestimmung durch Serge schützen. Die eingebauten Finde-Szenen gefallen mir im gesamten Kontext besonders. Jannick, der alte Seemann, hat ein tagesfüllendes Hobby. Er sammelt besondere Steine am Strand, Hühnergötter, Feuersteine, gibt ihnen je nach Form und Ausstrahlung einen Namen, um sie danach in einer Felsengrotte aufzustellen. Tauschwitz baut in diesen Kapiteln wunderbare Metaphern ein, so zum Beispiel der Fund eines herzförmigen schwarzen Steines. Oder ein taubenähnlicher Stein mit einem Blutstropfen in Herznähe. Als Leser spürt man Yin, Yang und Fengshui, ist man mit Jannick unterwegs.<br />
<br />
<br />
<b>Verdrängung und Imagination</b><br />
<br />
<cite><i>Es hatte zehn Minuten gedauert. Eine Minute fühlt 60 Sekunden. Zehn Minuten schmerzen 600 Sekunden lang. Was sind 600 Sekunden gegenüber 86 400 des Tages? Was sind 10 Minuten gegenüber 1440 Minuten eines Tages.</i></cite><br />
<br />
Diese 10 Minuten, in regelmäßigen Abständen auf Tage, Wochen, Monate und Jahre verteilt, sind für Isabell der Inbegriff der Hölle. Unbewusst greift sie zu Selbstschutzmechanismen, um das perfide sexuelle Treiben des bis dahin heiß geliebten Vaters, auszuhalten. Sie gleitet in eine andere Daseinsform, zieht eine Maske über das entsetzliche Geschehen, indem sie in die von der Mutter geerbten Schneckenhäuser schlüpft. Seit dem unerklärlichen Verschwinden der Mutter führt sie diese zerbrechlichen Schalen mit sich herum, um in Momenten von auswegloser Hilflosigkeit den dort innelebenden Gesang zu entlocken, den ihr die Mutter viele Jahre zuvor hinter den Windungen und Biegungen der Gehäuse mit einem Kuss versiegelt hatte. Akustisch-imaginär lässt sich Isabell in diesen 10 Schattenminuten in ihrer Vorstellung an einen guten sicheren Ort bringen, lässt sich vom Gesang der Schneckenhäuser trösten. Diese Imagination hilft ihr, aus der Hilflosigkeit, dem Vater sexuell ausgeliefert zu sein, herauszukommen.<br />
<br />
Alltags leben Vater und Tochter in einem überbordendem Wohlstand, der sich insbesondere durch exquisite Menüs, weite Reisen, herrschaftlichen Häusern, Pferden und großzügigen Sozialspenden auszeichnet. Das gesellschaftliche Umfeld käme nie auf die Idee, in der Person Serge du Montrudier einen Kinderschänder zu sehen. Die Maske des Wohltäters und überbesorgten Vaters sitzt perfekt und täuscht selbst professionelle Mitarbeiter des Jugendamtes, die auf einen Hinweis einer ehemaligen Hausangestellten Isabelle aufsuchen, um nach dem Rechten zu sehen.<br />
<br />
<br />
<b>Thrillerähnlicher Plot</b><br />
<br />
Der emotionale Konflikt, der sich zwischen Vater und Tochter entfaltet, steigert sich von Kapitel zu Kapitel. Die Spannungskurve nimmt ihren Anfang mit Laura, die einige Jahre nach der Geburt ihrer Tochter Isabelle plötzlich wie vom Erdboden verschwunden ist. Der Leser spürt, dass es zum Romanende hin zu einer Auflösung kommen wird, muss!, viel zu intensiv werden imaginäre Tochter-Mutter-Bilder eingestreut. Fast scheint für Isabelle alles verloren, als eine Wendung für sie eintritt. Mit Hilfe eines Studienkamerades kann sie sich letztendlich aus der Umklammerung des Vaters befreien, wenn auch mit einem tragischen Ende.<br />
<br />
<br />
<b>Leseeindruck</b><br />
<br />
Mit fast hypnotisierender Sprachmelodie hat mich die Autorin <b>Marion Tauschwitz</b> in ihrem neuen Roman <b>"Der Gesang der Schneckenhäuser"</b> auf eine Reise mitgenommen, deren Spannweite von kulinarischer Üppigkeit, über schöngeistigen Dingen bis hin zum Kindesmissbrauch reicht. Mit der Täter-Opferrolle und deren psychische Dynamik führt die Autorin den Leser souverän, behutsam und sensibel durch eine Welt der psychischen Abgründe. Feinst gezeichnete Charaktere schweben von Seite zu Seite, man befindet sich in einem Sog und entkommt dem nur, wenn man endlich die letzte Seite gelesen hat und das Buch zur Seite legen kann. Dieser Roman, dessen Plot Merkmale eines Psychothrillers aufweist und der mich beim Lesen immer wieder an Daphne du Mauriers "Rebecca" erinnerte, ist ein faszinierendes Buch, jedoch, die Nachdenklichkeit, die sich eingeschlichen hat, begleitete mich einige Zeit. <br />
<br />
jbs 2012<br />
<br />
Anmerkung zum Schluss:<br />
Dieses Buch ist auch ein Bilderbuch der Metaphern. Wirklich gelungen!<br />
<br />
<b>Parallellektüre:</b><br />
<br />
In meinen Augen lässt sich obig besprochener Roman, der äußerst lebensnah geschildert ist, nicht nur in die Reihe von Daphne du Mauriers Rebecca stellen. Auch Buchi Emecheta Zwanzig Säcke Muschelgeld und Kehinde sowie von Saliha Scheinhardt Frauen, die sterben, ohne dass sie gelebt hätten oder Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen von Hannah Green usw. gehören dazu und ihnen sollte Aufmerksamkeit geschenkt werden.<br />
<br />
<br />
<b>Das Buch Der Gesang der Schneckenhäuser</b><br />
<br />
<a href="http://www.vat-mainz.de/buecher/belletristik/tauschwitz-schneckenhaeuser.php">http://www.vat-mainz.de/buecher/belletristik/tauschwitz-schneckenhaeuser.php</a> <br />
<br />
<a href="http://www.amazon.de/Gesang-Schneckenh%C3%A4user-Roman-Marion-Tauschwitz/dp/394088457X">http://www.amazon.de/Gesang-Schneckenh%C3%A4user-Roman-Marion-Tauschwitz/dp/394088457X</a> <br />
<br />
<br />
<b>Hilfe</b> kann u.a. hier gefunden werden:<br />
<br />
<b>gegen-missbrauch e.V.</b><br />
<a href="http://www.gegen-missbrauch.de/">http://www.gegen-missbrauch.de/</a> <br />
<br />
<b>Deutscher Kinderschutzbund:</b><br />
<a href="http://www.dksb.de/CONTENT/SHOWPAGE.ASPX?CONTENT=461&TPL=0">http://www.dksb.de/CONTENT/SHOWPAGE.ASPX?CONTENT=461&TPL=0</a> <br />
<br />
<b>Siehe Gesetzestext aus dem Strafgesetzbuch:</b><br />
<a href="http://dejure.org/gesetze/StGB/176.html">http://dejure.org/gesetze/StGB/176.html</a> <br />
<br />
<br />
<b>Stichworte: sexualisierter Missbrauch Waschzwang Abwehrmechanismus - Verdrängung Thrillerelemente Wohlstandsgesellschaft Imagination</b>
lou-salome
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2012-01-20T22:04:00Z
-
Schwarze Flut
http://nietzsche.twoday.net/stories/64026044/
Aus meinem Textarchiv 2ooosechs<br />
<br />
<b>Schwarze Flut</b><br />
<br />
Langsam rutscht mir die Spritze aus der Hand. Den Aufprall auf kalten Fliesen nehme ich nicht wahr.<br />
Der Wassertopf auf dem Herd brummt vor sich hin und die Funkuhr läuft still ihrer eingestellten Zeit entgegen.<br />
Hektik, ständige Anspannung, Einengung, so nennen sich meine treuen Begleiter des Alltages. Aber jetzt kann ich endlich loslassen.<br />
<br />
Aufatmen.<br />
Schlafen.<br />
Träumen.<br />
<br />
Unsichtbare Kräfte zerren an mir, tragen mich hinaus durch das geschlossene Fenster Richtung Stadtmitte. Die rosa Wolke unter mir schmeckt nach Zuckerwatte. Und duftet nach Jahrmarkt. Ich drehe mich auf den Bauch und kann nun das Treiben unter mir genau beobachten.<br />
<br />
Hochhäuser, Baulücken, aufgeschnittener Leib Erde, Kraterlandschaften. Straßen, auf denen sich tausende Autos quälen, ständig hupend. Menschen, winzig wie Ameisen, eilig streben, rennen.<br />
Würde der Mensch die Erde verlassen, würde Frieden Auferstehung feiern. Und niemand wird ihn erleben.<br />
<br />
Dazwischen fällt mir ein Wagen auf. Klein und blau.<br />
"Leon? Leon! Hörst du mich?"<br />
Aber wie soll er mich aus dieser Entfernung wahrnehmen?<br />
<br />
Der Fluss. Unter mir sehe ich ihn deutlich. Er begleitet das blaue Auto ein kurzes Stück. <br />
Dreckig braun schiebt er seine Fluten durch ein begradigtes Bett. Fort aus der pulsierenden Mitte der Stadt flüchtet er zum Stadtrand. Pharmariesen und stinkende Großindustrie rücken immer näher an ihn heran. Hier muss der Wasserwurm nochmals Dreck, Abwasser und Gifte schlucken. Getrübte Klarheit. Dann endlich hat er den Weg aus der Hölle gefunden.<br />
<br />
Leichter Schwindel ergreift mich. Der Magen ist flau. Ich werde unruhig.<br />
<br />
Endlich hat er Wiesen und Auen erreicht. Seine Farbe ändert sich. Wird heller. Goldene Blitze erscheinen jetzt öfters an der Wasseroberfläche. Sonnenstrahlen spielen Fangen mit winzigen Schaumkrönchen, die klare Wellen zieren. Hier bin ich, murmelt er glucksend. Alte Ufer zurückerobern!<br />
Er erreicht die offene See durch ein Gewirr von Flüsschen und Bächen. Der Fluss der Zeit stürzt sich ins Meer. <br />
<br />
Meine Beine sind eingeschlafen. Und auch wenn sich der Magen beruhigt hat, der Schwindel bleibt, ist hartnäckig.<br />
<br />
Ich suche Leon.<br />
Das blaue Auto und er sind verschwunden.<br />
<br />
Wasser soweit das Auge reicht.<br />
Das Meer liegt ruhig. Zu ruhig. Trügerisch.<br />
Wind kommt auf.<br />
Ich spüre eine plötzliche Schnelligkeit. Fliegend lege ich Jahre zurück in die Vergangenheit. Über Rostock, Kolberg, Lauenburg, Danzig.<br />
<br />
Der Wind wird zum Sturm. Dann zum Orkan. Das Meer bäumt sich auf, die Wellen sind meterhoch und ich kann beobachten, wie Flüchtlingsschiffe versuchen, ihre Fahrtrichtung zu halten. <br />
Ich komme so nah an sie heran, dass ich Menschen erkenne. Ausgehungert. Verstört. Panische Angst liegt über den hockenden, frierenden Flüchtlingen. Ihre wenigen Habseligkeiten haben sie in Säcke gepackt.<br />
Meine Großmutter zieht meine Mutter ganz dicht an sich heran. Ich will rufen, schreien, ich bin jetzt bei euch, nichts kann euch passieren!<br />
Plötzlich schrilles Sirenengeheul. Torpedoeinschläge. Explosionen. Das Schiff neben uns mit seiner gesamten menschlichen Fracht hat keine Chance.<br />
<br />
Ich schrecke auf. Schweißgebadet. Setze mich gerade auf den Stuhl.<br />
Nach zwei Minuten schrillt der Funkwecker nicht mehr, das Wasser ist auf dem Herd übergekocht. Ich hebe die Spritze vom Boden auf.<br />
Vorsichtig fülle ich sie mit steifen Rahm. Aufgewühlt dekoriere ich damit Kuchen und Gebäck.<br />
<br />
Leon!<br />
Ich blicke aus dem Fenster.<br />
Am Straßenrand steht ein blaues Auto.<br />
<br />
jbs 2ooosechs<br />
<br />
<br />
Meine Großeltern und Eltern erzählten oft von ihrer Flucht von Königsberg über das Kleine Haff nach Danzig. Sie gehörten zu den tausenden Flüchtlingen, die nicht auf der Wilhelm Gustloff Platz fanden, sondern auf eines der anderen Flüchtlingsschiffe, die nach Kiel übersetzten ... Am 30. Januar 1945 legte die Gustloff mit schätzungsweise 10.000 !!! Menschen an Bord in Gotenhafen ab. Sie wurde gegen 21 Uhr von mehreren Torpedos getroffen und sank. Über 9000!!! Menschen ertranken. Es dürfte die größte Schiffskatastrophe der Seefahrt sein ( bezogen auf ein Schiff).
lou-salome
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2012-01-06T21:43:00Z
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Es gibt zwar viele Welten, viele Sonnen - aber wir haben nur diese eine Erde
http://nietzsche.twoday.net/stories/59211230/
<b>Es gibt zwar viele Welten, viele Sonnen - aber wir haben nur diese eine Erde.</b><br />
<br />
<b><i>Ganz besonders meinen treuen BlogleserInnen, ob sichtbar oder unsichtbar, wünsche ich von Herzen eine friedliche Weihnachtszeit und für das kommende neue Jahr 2ooozwölf Vitalität sowie gute Freunde und Menschen, die begleitend durch das Leben ziehen. <br />
Ich freue mich auf ein neues lou-salome-Blogjahr.</i></b><br />
<br />
<br />
Seit den letzten Weihnachtsfesten hat sich nichts verändert, was Musik und Lyrik dazu anbelangt. Deshalb poste ich heute erneut "Brother in Arms".<br />
<br />
<img title="" height="267" alt="Weihnachten-2008-053" width="400" src="https://static.twoday.net/nietzsche/images/Weihnachten-2008-053.jpg" /><br />
<br />
<b>Mark Knopfler Brothers in arms</b> <br />
<br />
Diese nebelverhangenen Berge sind jetzt mein Zuhause. <br />
Aber meine Heimat ist da unten, <br />
im flachen Land dort wird immer meine Heimat bleiben. <br />
Irgendwann werdet ihr zurückkehren, <br />
in eure Täler und auf eure Höfe, <br />
und werdet nicht mehr darauf brennen, <br />
Waffenbrüder zu sein.<br />
<br />
Ich habe euer Leid gesehen, <br />
hier, auf den Schlachtfeldern <br />
habe ich eure Feuertaufe erlebt. <br />
Und als die Schlacht heftiger wurde, <br />
als ich schwer verwundet wurde, <br />
in all diesem Schrecken und in der Gefahr <br />
seid ihr mir beigestanden. <br />
Ihr, meine Waffenbrüder.<br />
<br />
Es gibt zwar viele Welten, viele Sonnen - <br />
aber wir haben nur diese eine Erde. <br />
Und doch ist es so, als lebten wir <br />
in verschiedenen Welten.<br />
<br />
Die Sonne ist zur Hölle gefahren, <br />
und der Mond steigt auf. <br />
Lasst mich Euch Lebewohl sagen. <br />
Jeder Mensch muss sterben. <br />
Aber es steht in den Sternen geschrieben, <br />
und in jeder Linie in euren Handflächen: <br />
Wir sind Narren, wenn wir Krieg führen <br />
gegen unsere Brüder.<br />
<br />
<a href="http://www.youtube.com/watch?v=9XVVZPefbR4">http://www.youtube.com/watch?v=9XVVZPefbR4</a>
lou-salome
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2011-12-24T12:51:00Z
-
der ministerpräsident von joachim zelter
http://nietzsche.twoday.net/stories/der-ministerpraesident-von-joachim-zelter/
<b>noch nicht doch nicht nicht mehr. die utopie.</b><br />
<br />
betrachtungen aus der sicht einer hörenden die gesehen hat. <br />
blickwechsel. <br />
vom bistrotisch zum lesepult. ein jemand als niemand, ist ins alter gekommen. <br />
ein kariertes ockerfarbenes verblichenes jackett umhüllt ihn. nicht schmeichelnd. <br />
einführung. <br />
einführungspalaver. <br />
der karierte will etwas sagen. sagt aber nichts. aus. über einen schriftsteller, der worte in schrift stellt. der horizonte erweitert. der wahrhaftig mit lust und schelmenblick mit sprache spielt. ein genius des erzählens. <br />
der karierte geniert sich nicht. seine einführung ( und später auch mit seinem schlusswort ) für die nachfolgende lesung ist blah. <br />
<br />
blah. <br />
blah. <br />
BLAH!<br />
<br />
zum glück hält er sich kurz. setzt sich. rasch. erleichtert. stuttgarter druckerschwärze wird ihn tarnen. fünfundvierzig minuten lang. ihn und seinen schlaf. lichtreflexe auf pomadenglanz. einzige zeugen seiner karierten anwesenheit. das kinn fällt. schützt die drosselgrube. sein glück!<br />
<br />
der steller der schrift stellt sich. hinter seine worte. vor seine worte. ist mittendrin. sichtbar. unsichtbar. fassbar. in millimetergenauen pointen erzählt er. vom menschsein. von verlusten. vom gewinnen. über moral und macht. von einem umfall der ein unfall war. vom märz, der kein monat ist und nur karriere kennt. von wolkenbauer, die in keiner handwerkskammer vertreten ist. von hannah. hinten wie vorne mir h geschrieben. von einem ursprünglichen kloster. urspring. claus urspring. doktor claus urspring. ministerpräsident im krankenstand. heijeijei! heijeijei!<br />
von leeren inszenierungen. vom inhaltslosen schein.<br />
<br />
erinnerungen liegen. tag und nacht.<br />
<br />
und was bedeutet nun utopie? noch nicht? doch nicht? nicht mehr?<br />
<br />
der autor verrät es nicht. die lesung ist vorbei. alle klatschen. die zuhörten. stille. wärme für zelter. sammeln der gedanken. öffnen der münder.<br />
der karierte ist erwacht. tritt vor das mikrophon. <br />
schön hat er gelesen. der schriftsteller. der zelter. fragen?! keine fragen!? dann wünsche ich einen guten nachhauseweg! auf wiedersehen.<br />
<br />
murren. nicht so schnell! <br />
<br />
blickwechsel. <br />
vom lesepult zu den bistrotischen.<br />
joachim zelter. der schriftsteller. verwandelt jetzt schrift in sprache. <br />
wir bleiben sitzen. <br />
sehen. <br />
hören. <br />
reden.<br />
<br />
jbs 2oooelf<br />
<br />
<b>Ein Trailer zum Buch:</b><br />
<br />
<a href="http://www.youtube.com/watch?v=0Ro63su-yzM">http://www.youtube.com/watch?v=0Ro63su-yzM</a><br />
<br />
<b>Das Buch. Zum Reinschauen:</b><br />
<br />
<a href="http://www.kloepfer-meyer.de/default.asp?Menue=1&Buch=140">http://www.kloepfer-meyer.de/default.asp?Menue=1&Buch=140</a><br />
<br />
<b>Eine gelungene Rezension:</b><br />
<br />
<a href="http://www.begleitschreiben.net/joachim-zelter-der-ministerprsident/">http://www.begleitschreiben.net/joachim-zelter-der-ministerprsident/</a>
lou-salome
Eigentexte
Copyright © 2011 lou-salome
2011-12-14T21:28:00Z
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versatile writer
http://nietzsche.twoday.net/stories/versatile-writer/
Sieben auf einen Streich! Von sieben Dingen soll ich erzählen. Von sieben Sachen aus meinem Leben. Interessiert das überhaupt jemanden? Ich denke nicht. Aber weil ich Frau punctum eine Freude machen möchte, weil ich sie und Ihren Blog mag, stelle ich mich ein wenig vor. <br />
Et voilà, lou-salome:<br />
<br />
<b>L</b> für lebendig. Für <b>Leben</b> leben. Für lange und gerne <b>lesen</b>. Für <b>lecker</b>e Küche. Für <b>lustig</b>e Stimmungen. Für <b>Locken</b> haben. Für gerne <b>lachen</b>. <br />
Für die vielen anderen l's schauen Sie einfach nach dem nächsten L.<br />
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<b>O</b> für <b>Ohrstecker</b>. Warum könnte das interessant sein? Wird doch heute unkompliziert getragen. Das Durchstechen meiner Ohrläppchen, Mitte der siebziger Jahre, war für mich eine Art Initiation, die habe ich intensiv in Erinnerung.<br />
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<b>U</b> für <b>Uhr</b>. Wenn ich die Haustür aufschließe, hänge ich nicht nur meine Jacke an die Garderobe, auch die Zeit hänge ich an den Nagel. Grundsätzlich verschwindet meine Armbanduhr vom Handgelenk. (Uhr-)Zeit bekommt dann eine andere Wertigkeit.<br />
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<b>S</b> wie <b>schwimmen</b>. Besonders im Meer. Nur weit rausschwimmen mag ich nicht, da ich ja nie weiß, 'ob dort jemand anbeissen wird'. In einem unserer letzten Urlaube auf Korsika hatte ich beim Schnorcheln in einer Bucht einen Tintenfisch entdeckt. Ich bin immer wieder runtergetaucht, umkreiste ihn voller Respekt, weil ich (natürlich, wie sollte es bei meiner Phantasie auch anders sein) Angst hatte, er könnte plötzlich auf mich zukommen und seine Saugnäpfe an mir andocken. Das passierte natürlich nicht, weil ich nach dem dritten Beobachtungstauchgang schleunigst den Flossengang gen Steilküste unternahm, um meinem Mann und den Kindern davon zu erzählen. Der Kalamar war kürbiskopfgroß!!!!! ( Bin mir aber nicht mehr ganz so sicher. Vielleicht war er auch etwas kleiner?).<br />
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<b>A</b> wie <b>Abenteuer</b>. Grundsätzlich mag ich Abenteuer. <br />
A<b>narchie lehne ich ab!</b> <br />
A<b>propros Antike</b>!Geschichten aus der Antike, die gefallen mir sehr und beim Aufzählen merke ich, ich müsste mal wieder die alten Atlanten rausholen.<br />
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<b>L</b> wie <b>Langeweile</b>. Die habe ich sehr selten. Und wenn ich mal Langeweile haben sollte, dann sitze ich an meinem Arbeitszimmerfenster und gucke. Gucke raus. In den Himmel. In den Garten. Auf die Pflanzen. Wieder in den Himmel. Vielleicht fliegt da ja mal was. Gucke wieder geradeaus. In den Hasenstall vis-à-vis. Da sitzen zwei Karnickel im Stall und gucken vis-à-vis in meine Richtung. Denke darüber nach, was die jetzt denken. Ob die auch Langeweile kennen? Dann kommt mir Degenhardt in den Sinn, der mit seinem Lied vom Hasenstall und den Schmuddelkindern. Das es den nicht mehr gibt. Was ich sehr schade finde. Denn ich mochte seine Art, gesellschaft- politisches Unrecht zum Ausdruck zu bringen. Da fällt mir ein: Wir haben doch noch eine Langspielplatte vom Väterchen Franz. Vom alten Degenhardt! Jepp! Die wird jetzt vom Dachboden geholt, der Schallplattenapparat wird abgepustet und die Platte aufgelegt. Ich glaube ... meine Langeweile verschiebe ich jetzt auf später!<br />
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<b>O</b> wie <b>Omen</b>. An Omen glaube ich nicht. Mit einer Einschränkung: in der Seefahrt. <br />
Oh! 'Wie seht ihr denn wieder aus!!!' war eine meine häufigsten Ausrufe, wenn meine zwei Jungs vom Spielen nach Hause kamen.<br />
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<b>M</b> wie <b>meschugge</b> und <b>Modelleisenbahn</b>. Meschugge macht mich braune politische Überzeugung. Meschugge machen mich Menschen, die die Menschenwürde missachten. <br />
Und ich hoffe, dass eines Tages genügend Zeit sein wird, unsere alte Märklin Modelleisenbahn HO wieder aufzubauen. <br />
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<b>E</b> wie: <b>Empathie</b> für viel zu viel und vielem<br />
und <br />
E wie <b>Ende</b>.<br />
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<b>Ha! FÜNFZEHN Blogger kenne ich nicht!</b> <br />
Deshalb kann ich gar nicht weiterempfehlen, weiterleiten! <br />
UND! <br />
<b>Den Franz lasse ich Ihnen hier.</b> <br />
Und mir natürlich auch!<br />
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<b>Spiel nicht mit den Schmuddelkindern</b><br />
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<a href="http://www.youtube.com/watch?v=bGhJbr7DMmg">http://www.youtube.com/watch?v=bGhJbr7DMmg</a>
lou-salome
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2011-11-24T18:12:00Z
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