aus: Erich Kästner „Bei Durchsicht meiner Bücher...“
Veröffentlicht unter der Zulassung Nr. US-W- 1014 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung
( eine Jahreszahl erscheint erst nach Ende des Vorwortes)
Mein erstes Buch, der Gedichtband „Herz auf Taille“, erschien 1927. Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit, beizuwohnen.
Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Triaden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich.
Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: „ Dort steht ja Kästner!“ Eine junge Kabarettistin die sich mit einem Kollegen durch die Menge zwängte, hatte mich stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen. Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts. ( Obwohl in diesen Tagen gerade sehr viel zu „geschehen“ pflegte.) Die Bücher flogen weit ins Feuer. Die Triaden des kleinen abgefeimten Lügners ertönten weiterhin. Und die Gesichter der braunen Studentengarde blickten, den Sturmriemen unterm Kinn, unverändert geradeaus, hinüber zu dem Flammenstoß und zu dem psalmodierenden, gestikulierenden Teufelchen.
In dem folgenden Jahrdutzend sah ich Bücher von mir nur die wenigen Male, die ich im Ausland war. In Kopenhagen, in Zürich, in London. - Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zu sehen. In keiner Stadt des Vaterlands. Nicht einmal in der Heimatstatd. Nicht einmal zu Weihnachten, wenn die Deutschen durch die verschneiten Strassen eilen, um Geschenke zu besorgen. Zwölf Weihnachten lang! Man ist ein lebender Leichnam.
Es hat zwölf Jahre gedauert, bis das Dritte Reich am Ende war. Zwölf kurze Jahre haben genügt, Deutschland zugrunde zu richten. Und man war kein Prophet, wenn man, in satirischen Strophen, diese und ähnliche Ereignisse voraussagte. Daß keine Irrtümer vorkommen konnten, lag am Gegenstand: am Charakter der Deutschen. Den Gegenstand seiner Kritik muß der Satiriker natürlich kennen. Ich kenne ihn.
Das vorliegende Buch stellt eine Auswahl aus meinen vier vor 1933 erschienenen Gedichtbänden dar. Was in diesen ein „prophetischer“ Ausblick war, erscheint nun als geschichtlicher Rückblick. Während des Dritten Reichs kam in der Schweiz ein anderer Auswahlband heraus. Er heißt „ Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke“ ( Atrium-Verlag) und enthält Gedichte, die sich mit den privaten Gefühlen des heutigen Großstadtmenschen beschäftigen. Der vorliegende Band enthält, im Gegensatz dazu, Gedichte vorwiegend sozialen, politischen und gesellschaftskritischen Charakters.
Es handelt sich, wie gesagt, um einen Rückblick. Die Verse zeigen, wie es vor 1933 in den Großstädten und anderswo aussah. Und sie zeigen auch, wie ein junger Mann durch Ironie, Kritik, Anklage, Hohn und Gelächter zu warnen versuchte. Daß derartige Versuche keinen Sinn haben, ist selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist, daß die Sinnlosigkeit solcher Versuche und das Wissen um diese Sinnlosigkeit solcher Versuche und das Wissen um diese Sinnlosigkeit einen Satiriker noch nie zum Schweigen gebracht haben und niemals dazu bringen werden. Außer man verbrennt seine Bücher.
Satiriker können nicht schweigen, weil sie Schulmeister sind. Und Schulmeister müssen schulmeistern. Ja, und im verstecktesten Winkel ihres Herzens blüht schüchtern und trotz allem Unfug der Welt die törichte, unsinnige Hoffnung, daß die Menschen vielleicht doch ein wenig, ein ganz klein wenig besser werden könnten, wenn man sie oft genug beschimpft, bittet, beleidigt und auslacht.
Satiriker sind Idealisten.
München, zwischen Krieg und Frieden, 1946, Erich Kästner
( eine Jahreszahl erscheint erst nach Ende des Vorwortes)
Mein erstes Buch, der Gedichtband „Herz auf Taille“, erschien 1927. Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit, beizuwohnen.
Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Triaden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich.
Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: „ Dort steht ja Kästner!“ Eine junge Kabarettistin die sich mit einem Kollegen durch die Menge zwängte, hatte mich stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen. Mir wurde unbehaglich zumute. Doch es geschah nichts. ( Obwohl in diesen Tagen gerade sehr viel zu „geschehen“ pflegte.) Die Bücher flogen weit ins Feuer. Die Triaden des kleinen abgefeimten Lügners ertönten weiterhin. Und die Gesichter der braunen Studentengarde blickten, den Sturmriemen unterm Kinn, unverändert geradeaus, hinüber zu dem Flammenstoß und zu dem psalmodierenden, gestikulierenden Teufelchen.
In dem folgenden Jahrdutzend sah ich Bücher von mir nur die wenigen Male, die ich im Ausland war. In Kopenhagen, in Zürich, in London. - Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zu sehen. In keiner Stadt des Vaterlands. Nicht einmal in der Heimatstatd. Nicht einmal zu Weihnachten, wenn die Deutschen durch die verschneiten Strassen eilen, um Geschenke zu besorgen. Zwölf Weihnachten lang! Man ist ein lebender Leichnam.
Es hat zwölf Jahre gedauert, bis das Dritte Reich am Ende war. Zwölf kurze Jahre haben genügt, Deutschland zugrunde zu richten. Und man war kein Prophet, wenn man, in satirischen Strophen, diese und ähnliche Ereignisse voraussagte. Daß keine Irrtümer vorkommen konnten, lag am Gegenstand: am Charakter der Deutschen. Den Gegenstand seiner Kritik muß der Satiriker natürlich kennen. Ich kenne ihn.
Das vorliegende Buch stellt eine Auswahl aus meinen vier vor 1933 erschienenen Gedichtbänden dar. Was in diesen ein „prophetischer“ Ausblick war, erscheint nun als geschichtlicher Rückblick. Während des Dritten Reichs kam in der Schweiz ein anderer Auswahlband heraus. Er heißt „ Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke“ ( Atrium-Verlag) und enthält Gedichte, die sich mit den privaten Gefühlen des heutigen Großstadtmenschen beschäftigen. Der vorliegende Band enthält, im Gegensatz dazu, Gedichte vorwiegend sozialen, politischen und gesellschaftskritischen Charakters.
Es handelt sich, wie gesagt, um einen Rückblick. Die Verse zeigen, wie es vor 1933 in den Großstädten und anderswo aussah. Und sie zeigen auch, wie ein junger Mann durch Ironie, Kritik, Anklage, Hohn und Gelächter zu warnen versuchte. Daß derartige Versuche keinen Sinn haben, ist selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist, daß die Sinnlosigkeit solcher Versuche und das Wissen um diese Sinnlosigkeit solcher Versuche und das Wissen um diese Sinnlosigkeit einen Satiriker noch nie zum Schweigen gebracht haben und niemals dazu bringen werden. Außer man verbrennt seine Bücher.
Satiriker können nicht schweigen, weil sie Schulmeister sind. Und Schulmeister müssen schulmeistern. Ja, und im verstecktesten Winkel ihres Herzens blüht schüchtern und trotz allem Unfug der Welt die törichte, unsinnige Hoffnung, daß die Menschen vielleicht doch ein wenig, ein ganz klein wenig besser werden könnten, wenn man sie oft genug beschimpft, bittet, beleidigt und auslacht.
Satiriker sind Idealisten.
München, zwischen Krieg und Frieden, 1946, Erich Kästner
lou-salome - 19. Sep, 21:53