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Insel der Elefanten

Toeroek
Insel der Elefanten von Imre Török, 2010

„Das Leben verstehen heißt, rückwärtig Betrachtungen vorzunehmen, das Leben aber zu leben heißt, nach vorne zu sehen.“ Sören Kierkegaard

Valentin, ein aus Ungarn stammender fünfzigjähriger Journalist ist die tragische Hauptperson des Romans „ Insel der Elefanten“ von Imre Török.

Inhalt
Seit seiner Jugend lebt Valentin in Deutschland, genauso wie Ilona Arany, seine ehemalige Geliebte. Beide verbindet immer noch ein tiefes Band der Freundschaft und so wundert es nicht, dass Valentin, als er sich in einer großen Sinnkrise befindet, Ilona's Einladung dankend annimmt, um mit ihr auf einer sonnigen Insel ein paar Wochen zu verbringen. Auch Ilona verspricht sich von der gemeinsamen Zeit Klärung ihrer Gefühle der einst so großen Liebe.
Und dann wird der Urlaub für beide eine große Bewährungsprobe. Valentin's häufiger Alkoholkonsum, seine wütenden Ausfälle oder seine noch immer erotische Ausstrahlung, die sie eifersüchtig macht, trüben die Stimmung. Er entrückt immer mehr der Gegenwart, weil er vor seinem geistigen Auge den sterbenden Vater, den alten András von Szendrö, sieht, der allerdings schon seit zwanzig Jahren tot ist.

Es war an einem späten Nachmittag im Herbst. Die Sonne schien schräg an die weiße Wand hinter seinem Bett. Und als mein Papa tot war, sah ich in dem Streifen des Sonnenlichts die Elefanten wandern. Sie einfach davon wandern.“

Valentin erlebt immer öfters Visionen von wandernden Elefanten. Für Ilona ist es anfangs keine Frage, diese, wie sie denkt, Halluzinationen, werden nur durch die täglich großen Mengen Whisky ausgelöst, die er schluckt. Nach langen und tiefen Gesprächen mit Ilona ist Valentin endlich bereit, die Geschichte seines Vaters aufzuschreiben und Erinnerungen festzuhalten.

Jetzt zeigt es sich, welch ein genialer Erzähler der Autor Imre Török ist.
Mit kleinen Rückblenden auf die Geschichte Ungarns, die durch Valentin's Vater und Großvater lebendig gemacht wird, sucht Török nach der Vergangenheit seines Heimatlandes. András von Szendrö, dessen große Liebe zur Marie und das Erwachsen werden von Balint, wie Valentin in Ungarn genannt wird, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Zeit der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts. Als kleiner Junge lässt Balint sich die Geschichte der Elefanten von seinem Vater erzählen:

„Weißt du, mein kleiner Bálint, die Elefantenjagd im Dschungel ist nämlich ein höchst gefährliches Unterfangen. ... Dort, schau, dort bauen die Eingeborenen mit Bambusstämmen die gewaltige Elefantenfalle, in welche die Tiere getrieben werden. Die weiträumige Umzäunung, diese Bambuspalisade, wird das erste Gefängnis der Tiere werden. Es beginnt die Treibjagd. ... Also, die Elefanten rennen durch das Tor. Und sitzen dann für immer in der Falle. ... Die Elefanten, die mit der Zeit zahm werden, obwohl sie eigentlich auch nur so tun, die werden vom Deck geführt. Und dann kommen sie in den Zoo und es geht ihnen gut. Manchmal träumen sie von Ceylon. Oder von Indien. Aber zurück können sie nie wieder. Nur in ihren Träumen.“

Und weitere Erinnerungssplitter fügen sich auf Valentin's Laptop zu einer Lebensgeschichte zusammen:
András, in jungen Jahren, von seinem Vater fast an den Onkel verkauft; András studiert und wird Diplomat. Von seiner große Liebe zu Marie, diese aber nicht heiraten darf, weil sie nicht seinem gesellschaftlichen Stand entspricht. Weiter geht das Leben von András in Berlin, wo er als ungarischer Diplomat die entsetzliche NS-Zeit und Hitler's Größenwahn erlebt. 1939, an seinem dreißigstem Geburtstag, erreicht ihn die Nachricht vom Tod seiner Marie. Verzweifelt will András nicht mehr weiterleben. Trotzdem macht er sich auf den Weg zu einem sogenannten „Arbeitslager“, um einen verschleppten ungarischen Landsmann zu retten. Aber vor den vom Vernichtungswahn gesteuerten Gehirnen kann ein kleiner ungarischer Diplomat nichts ausrichten. Wie das Schicksal es will, András lernt in dem Lager seine zukünftige Ehefrau, die Mutter von Valentin, kennen. Sophie de la Bendola. Sie war mit dem Weimarer Staatstheater angereist, um im Lager für Unterhaltung zu sorgen. András verliebt sich auf der Stelle in diese Frau und wird sie später heimlich in Ungarn heiraten.
Die stalinistische Diktatur greift mit kalter Zange nach Ungarn. Nicht nur die materiellen Besitztümer, auch die Adelstitel werden András und seinen Landsleuten genommen. Gefängnis und Folter muss Valentins Vater ertragen, bevor er mit seiner kleinen Familie nach Deutschland emigrieren wird.

Imre Török ist in seinem Element. Er hält dem Leser ein Kaleidoskop vor Augen. Es sind immer wieder die gleichen Farben, die auftauchen, aber immer in einem anderen Muster. Es dreht sich weiter und weiter und der Leser versteht immer mehr die seelische Zerissenheit von Valentin. Die innige Liebe zu seinem Vater, die große Liebe zu Ilona, die trotz Trennung nie aufgehört hat und seine Suche nach einem festen Platz im Leben.

Den Höhepunkt erreicht der Roman, als Valentin für Tage verschwindet und Ilona nicht weiß, wo er sich aufhält. Valentin hat die direkte Nähe zum Wasser gesucht, denn er „ ... mag es, im Licht zu baden und der Sonne hinterher zu sinken.“ Er spürt, wie langsam seine alte Energie zurückkehrt.
Unfreiwillig freiwillig wird er am Strand Zeuge einer heftigen Liebesgeschichte. Brachiale Eifersucht des gehörnten Partners trifft auf Valentin, der mit dieser Liason überhaupt nichts zu tun hat. Mit einer ungewollten Wende in Valentin's Leben endet der Roman.


Interpretationsgedanken

Ein Schriftsteller wie Imre Török gehört zu den Personen, die sich verantwortlich fühlen, unseren Blick zu schärfen. Zu schärfen und zu sensibilisieren für unser kollektives Gedächtnis.
Sie halten Dinge fest, an die sich die nachfolgenden Generationen erinnern sollen oder wollen. Und sein Roman „Insel der Elefanten“ ist ein kulturelles Gedächtnis geworden, mit sozusagen konservierten Erinnerungen.

Nicht nur die Elefanten sondern ganz besonders das Wasser spielt eine große Rolle in dem Buch.
Mit dem Besuch auf den „Mont Sainte Odile“ im Elsass und zu der Schutzheiligen der Blinden zur „Heiligen Odilia“ könnte man beginnen.
Am Odilienberg entspringt eine Quelle, mit deren Wasser Blinde einer Legende nach wieder sehend werden. Auch Valentin schlürfte aus der Gebirgsquelle und erklärte: „... vielleicht heilt mich dieses Wasser von meinem Irrtum, kein Blinder zu sein.“

Und bevor die Elefanten und Schmetterlinge in Töröks Roman ihren Einsatz bekommen, kommt der Philosoph Thales zu Wort, denn auf seinen Überlegungen basierend besteht alles aus Wasser. Thales war überzeugt, dass es nicht auf das Sichtbare in der Welt ankommt, sondern auf das, was im Inneren wohnt, also im Grunde auf das Unsichtbare, welches jedoch das Sichtbare erst zu dem macht, was es an sich ist.

Das Innere gibt sich in dem Roman über die Elefanten und das Elefantenauge zu erkennen. U.a. erklärt Valentin:
„Von wegen symbolisch! Diese Elefanten, die mächtigen Langsamen wie die stolpernden Kleinen, diese ganze lange Reihe von Dickhäutern mit wedelnden Ohren waren quicklebendig. Abschnitte von Vaters Leben, eine Rückschau an Leiden und Lieben. Verinnerlichtes, das mit Elefant für Elefant aus seinem Körper trat und ihn verließ.“
In der hinduistischen Mythologie sind Elefanten eng mit Wolken verbunden und deshalb auch mit dem Regen. Dies heißt wiederrum, dass sie Symbole des Wassers und des Lebens sind. Und sie stehen zudem als Symbol für Gedächtnis und Erinnerung.

Der „pillangó“. Der Schmetterling. Dieser kleine, aus Flüchtig-und Zerbrechlichkeit bestehende Falter, dessen Flug wohl stets ein Kontinuum ist, das aus augenblicklichen Elementen der Fortsetzungen besteht.
Die Metamorphose. Griechische Philosophen sahen in dem Schmetterling die Erscheinungsform der menschlichen Seele und zugleich ein Bild für Unsterblichkeit. Er taucht immer wieder neben den Elefanten auf und begleitet den Leser bis zum Ende des Romans.

Mit einem mächtigen Handstreich gelingt dem Autor Török das Bewahren von namhaften Schriftstellern, Freiheitshelden und Dichtern. Der Größte unter ihnen aus der Neuzeit ist sicherlich Imré Kertész, der Literaturnobelpreisträger von 2002. Sein „Kaddisch für ein ungeborenes Kind“ ist auf Seite 132 verewigt. Mit seinem Zitat: „ Die Welt besteht aus Scherben, die auseinanderfallen, sie ist ein dunkles, zusammenhangloses Chaos, allein vom Schreiben zusammengehalten.“ (Seite 131) steht er seinen Mitstreitern bedingungslos zur Seite.
Imre Török scheut sich nicht, alle die aufzuzählen, die nicht in Vergessenheit geraten sollen. Sei es Goethe, Schiller oder Hölderlin, Tabucchi, Esterházy, Petöfi, Jókai oder Kossuth. Um nur einige von ihnen zu nennen.


Fazit
Imre Török erbringt auf 399 Seiten den poetischen Beweis dafür, dass Wissensvermittlung, Philosophie und Phantasie auf gemeinsamen Flügeln durch Vergangenheit und Gegenwart gleiten können.
Manchem Leser oder mancher Leserin könnte die Fülle an Informationen, die so nebenbei einfliesst, zuviel erscheinen. Andererseits kann dies die Chance sein „...das die Geschichte nicht das Gedächtnis belastet, sondern den Verstand erleichtert.“ ( frei nach Lessing).

„Insel der Elefanten“ ist ein sehr reicher Roman, den ich jedem empfehlen kann, der im Zeitalter der Abrufbarkeit von Fakten, Daten und Wissen per Knopfdruck sich in eine Welt zurückziehen möchte, die aus Erinnerungen besteht.
Mit Sören Kierkegaard's Zitat vom Anfang beende ich meinen Leseeindruck:

„Das Leben verstehen heißt, rückwärtig Betrachtungen vorzunehmen, das Leben aber zu leben heißt, nach vorne zu sehen.“

Zitate aus dem Buch oder Sekundärliteratur erscheinen in kursiver Schrift.

„Insel der Elefanten“ von Imre Török
http://www.amazon.de/Insel-Elefanten-Imre-T%C3%B6r%C3%B6k/dp/3937139915

http://de.wikipedia.org/wiki/Kollektives_Ged%C3%A4chtnis

http://www.anderegg-web.ch/phil/thales.htm

http://www.ungarische-literatur.eu/zeitgenoessische_literatur.html#Toeroek

http://www.unesco.de/2730.html
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lou salome

"Vielleicht war vor den Lippen schon das Flüstern da und ohne Bäume tanzte schon das Laub."Ossip Emiljewitsch Mandelstam

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