josef winklers wimper
„ich reiß mir eine wimper aus und stech dich damit tot“ von josef winkler war als einstieg in die winkler-literatur ein dicker brocken für mich. verdauungszeit: geschätztes halbes jahr oder mehr, mal sehen.
neugierig gemacht hatte j.winkler mich nach seiner diesjährigen bachmannpreisrede sowie der kurz darauf veröffentlichte „offene brief an finanzminister josef pröll“ ( bundesfinanzminister von österreich und vizekanzler).
im klappentext las ich von poetologischen reportagen, reiseberichten zur heimatlosigkeit, vom näherrücken von todesfall zu todesfall.
aber das es so viele todesfälle werden, damit hatte ich nicht gerechnet.
winklers wiedergabe seiner beobachtungen, eingeschobenen zitaten ( im klappentext steht: „eingeschobene zitate als intarsien“) (solche bilder schätze ich) sind präzise, passen zum Inhalt der reportagen. er seziert peinlichst/unangenehmst genau dabei seine beobachtungen oder die im kopf wieder aufgerufenen erzählungen aus seinen kindertagen, so z.b. auf seite 34-36, der suicid des fünfzehnjährigen mädchens. oder der tödliche unfall des buben vom ignaz deweis, seite 40-41. oder der tod der uniformierten polizisten bei der rettung eines schwerverletzten, seite 46-47. oder die zurückgezogene hand aus der wasserleiche, während die andere das vanille-und schokoladeneis der erika pluhar und heidelinde weiss hielt ( seite 78 ). in jedem neuen kapitel tote.
in der mitte seiner erzählungen fügt j.winkler die geschichte des mexikanischen zuckertotenkopfes ein. ( was ist jetzt nun ein zuckertotenkopf? fragte ich mich).
andere länder, andere sitten. ich zitiere aus: http://www.tagesschau.de/ausland/friedhof2.html
dort wird auch beschrieben, was ein zuckertotenkopf ist:
„zum tag der toten aber kommen die verstorbenen zurück zu ihren familien. und dann wollen sie keine langen, grauen, verheulten gesichter sehen, sondern sie wollen eine fiesta mexicana auf ihren gräbern.
und die bekommen sie auch. mit allem, was dazu gehört: tequila und zigaretten liegen bereit, die lieblingsspeisen und süßigkeiten, vielleicht seine gitarre, sein lieblingsessen, fotos, kerzen und – ganz wichtig- ein zusätzlicher teller. der ist für die verstorbenen, die keine verwandten mehr unter den lebenden haben.“
der erste und der zweite november ist „der tag der toten“ in mexiko ( „der tod muß nicht nur traurig sein“, sagen die mexikaner). so einen tag hätte ich hier auch gerne!
beim lesen ensteht bei mir öfters der eindruck, dass winkler „überläuft“ im erzählen. er kommt vom hundersten ins tausendste. seine endlossätze, z.b. seite 69 -73, das erinnert mich stark an die erzählweise von imre kertész, kaddisch für ein ungeborenes kind. in einem atemzug werden gedanken wiedergegeben, die sozusagen am nordkap anfangen, über europa nach afrika führen, um über asien wieder ans nordkap zu gelangen. das muss man mögen, ansonsten erliegt man diesem erzählstrang.
das leben kommt bei winkler zum glück nicht zu kurz, da ist seine frau und da sind seine zwei kinder, er reist viel, liest viel, schreibt viel ( „wirklich, ich lebe nur, wenn ich schreibe“, zitat annemarie schwarzenbach, seite 17).
seine eltern leben lange, auch der ignaz deweis ( 97 jahre, seite 37).
josef winklers poetologische reportagen sowie seine reisebrichte zur heimatlosigkeit, seine häufigen Wort-/Satzwiederholungen, die todesfälle, die masse an informationen, zum ersten mal gelesen, ( vor allem auch die zitate sehr bekannter Autoren, die ich in meinem o.a. gedankengang völlig aussen vor gelassen habe. ), muten teilweise düster an. liegen schwer im verdauungstrakt.
aber: bei genauerem hinschauen und lesen eröffnet sich für mich ein neuer, ein anderer blickwinkel zum leben und tod ( siehe u.a mexiko). 125 seiten können sehr lang sein. es gibt noch reichlich zu ernten.
jbs
neugierig gemacht hatte j.winkler mich nach seiner diesjährigen bachmannpreisrede sowie der kurz darauf veröffentlichte „offene brief an finanzminister josef pröll“ ( bundesfinanzminister von österreich und vizekanzler).
im klappentext las ich von poetologischen reportagen, reiseberichten zur heimatlosigkeit, vom näherrücken von todesfall zu todesfall.
aber das es so viele todesfälle werden, damit hatte ich nicht gerechnet.
winklers wiedergabe seiner beobachtungen, eingeschobenen zitaten ( im klappentext steht: „eingeschobene zitate als intarsien“) (solche bilder schätze ich) sind präzise, passen zum Inhalt der reportagen. er seziert peinlichst/unangenehmst genau dabei seine beobachtungen oder die im kopf wieder aufgerufenen erzählungen aus seinen kindertagen, so z.b. auf seite 34-36, der suicid des fünfzehnjährigen mädchens. oder der tödliche unfall des buben vom ignaz deweis, seite 40-41. oder der tod der uniformierten polizisten bei der rettung eines schwerverletzten, seite 46-47. oder die zurückgezogene hand aus der wasserleiche, während die andere das vanille-und schokoladeneis der erika pluhar und heidelinde weiss hielt ( seite 78 ). in jedem neuen kapitel tote.
in der mitte seiner erzählungen fügt j.winkler die geschichte des mexikanischen zuckertotenkopfes ein. ( was ist jetzt nun ein zuckertotenkopf? fragte ich mich).
andere länder, andere sitten. ich zitiere aus: http://www.tagesschau.de/ausland/friedhof2.html
dort wird auch beschrieben, was ein zuckertotenkopf ist:
„zum tag der toten aber kommen die verstorbenen zurück zu ihren familien. und dann wollen sie keine langen, grauen, verheulten gesichter sehen, sondern sie wollen eine fiesta mexicana auf ihren gräbern.
und die bekommen sie auch. mit allem, was dazu gehört: tequila und zigaretten liegen bereit, die lieblingsspeisen und süßigkeiten, vielleicht seine gitarre, sein lieblingsessen, fotos, kerzen und – ganz wichtig- ein zusätzlicher teller. der ist für die verstorbenen, die keine verwandten mehr unter den lebenden haben.“
der erste und der zweite november ist „der tag der toten“ in mexiko ( „der tod muß nicht nur traurig sein“, sagen die mexikaner). so einen tag hätte ich hier auch gerne!
beim lesen ensteht bei mir öfters der eindruck, dass winkler „überläuft“ im erzählen. er kommt vom hundersten ins tausendste. seine endlossätze, z.b. seite 69 -73, das erinnert mich stark an die erzählweise von imre kertész, kaddisch für ein ungeborenes kind. in einem atemzug werden gedanken wiedergegeben, die sozusagen am nordkap anfangen, über europa nach afrika führen, um über asien wieder ans nordkap zu gelangen. das muss man mögen, ansonsten erliegt man diesem erzählstrang.
das leben kommt bei winkler zum glück nicht zu kurz, da ist seine frau und da sind seine zwei kinder, er reist viel, liest viel, schreibt viel ( „wirklich, ich lebe nur, wenn ich schreibe“, zitat annemarie schwarzenbach, seite 17).
seine eltern leben lange, auch der ignaz deweis ( 97 jahre, seite 37).
josef winklers poetologische reportagen sowie seine reisebrichte zur heimatlosigkeit, seine häufigen Wort-/Satzwiederholungen, die todesfälle, die masse an informationen, zum ersten mal gelesen, ( vor allem auch die zitate sehr bekannter Autoren, die ich in meinem o.a. gedankengang völlig aussen vor gelassen habe. ), muten teilweise düster an. liegen schwer im verdauungstrakt.
aber: bei genauerem hinschauen und lesen eröffnet sich für mich ein neuer, ein anderer blickwinkel zum leben und tod ( siehe u.a mexiko). 125 seiten können sehr lang sein. es gibt noch reichlich zu ernten.
jbs
lou-salome - 11. Sep, 00:25