jbs
„Ein Journalist hat mich gefragt:
‘Überlebt Schlomo den Krieg,
der ja im Film noch nicht zu Ende ist?’
Am Anfang hat er mich mit seiner
Frage überrascht, doch dann habe
ich die Antwort gefunden. Ich
habe ihm gesagt: ‘Das hängt nicht
von mir ab, das hängt von Ihnen
und vom Publikum ab. Wenn Sie
Schlomo vergessen, stirbt er,
wenn sie ihn nie vergessen,
wird er nie sterben.”
(Radu Mihaileanu)
Klezmer meets Polka and Dance
http://www.youtube.com/watch?v=TIfbWqkK_AI
1941. In einem jüdischen Shtetl irgendwo in Rumänien, stürzt der Dorfnarr Schlomo (Lionel Abelanski) völlig aufgeregt auf den Marktplatz und berichtet, die deutschen Truppen würden sich nähern. Die Dorfältesten, darunter auch der Rabbi (Clément Harari), beraten, was zu tun sei – und es ist Schlomo, der eine außergewöhnliche Idee hat: Man solle sich einen Zug mit allem Drum und Dran besorgen, einen Teil der Dorfbewohner als deutsche Soldaten verkleiden, samt Offizier, den Zug mit Hakenkreuzen versehen und den Rest der Einwohner als Deportierte in die Wagons verfrachten. Der Zug solle dann Richtung russischer Grenze fahren, um von dort aus irgendwie nach Palästina zu kommen. Nach einigem Hin und Her beschließen die Ältesten, Schlomos Idee zu realisieren. Es wird Geld gesammelt, die Frauen kümmern sich um die Versorgung mit Lebensmitteln und allem, was für die Reise notwendig ist, die Ältesten und der Rabbi suchen Freiwillige, die deutsche Uniformen anziehen, finden aber zunächst niemanden. Man muss die geeigneten Personen auswählen. Mordechai (Rufus) wird als Offizier auserkoren.
Ein des Deutschen mächtiger Sprachwissenschaftler namens Schmecht (Johan Leysen) soll den „deutschen” Soldaten das Jiddische aus- und das „reine” Deutsche eintreiben. Die Schneider bitten die als Soldaten Auserkorenen, den Hitler-Gruß zu absolvieren, um die Ärmellänge der Uniformen exakt bestimmen zu können. Die Lokomotive, die sich in einem erbärmlichen Zustand befindet, wird restauriert, der erste Wagon für den „Offizier” ausstaffiert und ein eigens herbeigeholter Mann soll mit Hilfe eines Handbuchs über Lokomotiven den Zug in Bewegung setzen. Das ganze Dorf ist in heller Aufregung, Musik spielt, es wird gesungen, alles und alle wirbeln durcheinander, um die Abfahrt vorzubereiten.
Schließlich kann es losgehen. Der Zug setzt sich in Bewegung.
Man ist vorbereitet, so gut es geht – auch auf eine mögliche Begegnung mit deutschen Truppen, die dann auch tatsächlich stattfindet. Aber nicht nur die Deutschen sind ein Problem. Innerhalb der fahrenden Dorfgemeinschaft bildet sich, ausgehend von Jossi (Michel Muller), eine kommunistische Gruppe, die ständig versucht, neue Anhänger zu finden und zum anderen die Religion attackiert. Und was sie alle nicht wissen: Der Zug wird beobachtet – von Partisanen, die zunächst tatsächlich glauben, es handle sich um einen Deportations-Zug der SS. Als der Zug irgendwann Halt macht, beobachten die drei Partisanen, wie sich die Insassen zum Sabbat versammeln und die vermeintlichen deutschen Soldaten ebenfalls beten. Sie sind völlig verwirrt und melden dies ihrem Chef über Funk, der daraufhin befiehlt, den Einsatz abzubrechen.
Der Zug des Lebens fährt weiter ...
http://www.filmzentrale.com/rezis/zugdeslebensub.htm
Text: Ulrich Behrens
lou-salome - 22. Mär, 21:15
Textsplitter II aus "Big Crash" ( Arbeitstitel )
Dr. Mehring war todmüde. Sein Feierabend lockte vor der Kühlerhaube. Endlich raus aus der Gerichtsmedizin, rein ins Auto. Nach Hause. Um diese Zeit am Morgen nickten ihm Nachtkerzen verschlafen vom Straßengraben aus zu und Spinnen, sonst immer listig auf der Lauer nach Beute, schliefen berauscht vom Herbsttau in ihren Netzen. Mehring sah das alles nicht. Zehn Stunden Nachtdienst in der Pathologie und nach langem wieder einmal ein Fall, der kniffelig war. Ein Endergebnis hatte er noch nicht diktieren können. Ihm war nicht klar, wie die Frau ihren Suizid hatte durchführen können. Im Keller, in einem Schrank mit geschlossener Tür, erhängt.
„Nicht natürlicher Tod“, das Kreuz neben dem 'nicht' prangte fett und bedeutungsvoll auf dem Leichenschauschein. Vielleicht hatte der Notarzt ihm damit auf der Todesbescheinigung eine Nachricht zukommen lassen wollen. So wie: Denk daran, was ein Rechtsmediziner übersieht, bleibt für immer unentdeckt. In Mehrings Kopf holperte es. Warum hatte sie sich im Schrank versteckt? Wieso auf diese Art? Weshalb im Haus, wo sie doch wissen müsste, welch einen Schock sie ihrem Mann versetzen würde, wenn er sie finden würde, wenn er nicht selbst …? Lauter W-Fragen!
Wieso? Weshalb? Warum? Wie lange? Wer?
Mehring blickte geradeaus auf die Autobahn, die ihm in der Frühe seltsam eng und leer vorkam.
Nunja, murmelte er müde, eine Lösung werde ich heute Früh nicht mehr finden. Ausgestorben, sind heute alle Berufspendler ausgestorben? Ja dann, Straßen frei für Mehring! Recht so, recht so!
Er drehte den Pegel seines neuen Autoradios auf 85 und zog mit dem Septembernebel die Bässe ein, die tief und vehement in den Basskeller des kleinen Apparates hineingriffen. Jetzt könnte die Heimfahrt doppelt so lang dauern, entzückte er sich, diese Errungenschaft hat sich gelohnt, auch wenn der Kredit höher ausgefallen war, als ihm lieb war. Aber, so hatte er es seiner Judith gesagt, aber! Irgendeine Schwäche müsse er doch haben dürfen. Wenn er sonst keine hätte.
Chee Yun spielte auf der Violine Oblivion. Mehring blinzelte. Oblivion von Astor Piazolla. Wie wunderbar! Jeden Ton kannte er. Während seines Medizinstudiums hatte er sie in sein Gehirn implantiert, nein, regelrecht einzementiert.
Schwer fielen seine Lider zu. Nur kurz. Und doch zu lang.
Judith hatte ihn immer wieder vor Sekundenschlaf gewarnt, gerade nach langen Arbeitsnächten sei die Gefahr für ihn ziemlich groß. Er hatte nur gelacht. Er arbeite nun schon so lange nachts, die Müdigkeit hätte er im Griff.
Sein Wagen schlenkerte. Erschrocken schlug er die Augen wieder auf. Schnell hatte er den neuen Citroen wieder im Griff und fuhr direkt auf eine Brücke zu. Sitzt da nicht jemand? Erneut blinzelte er. Jedoch war es zu dunkel, um Näheres zu erkennen. Er rieb sich die Augen. Da wird doch wohl niemand Steine werfen wollen? Das hatten wir doch erst kürzlich in der Zeitung stehen. Vier Zwanzigjährige auf dem Weg von der Disco nach Hause. Maren, die Tochter seines Kollegen saß mit in dem Unglückswagen, sie hatte ihm alles erzählt. Wie es passierte.
Dr. Mehrings Blick auf den Bordcomputer zeigte hundertvierundfünfzig Stundenkilometer an. Der Franzose lief prächtig! Er rieb erneut seine Augen. Und passierte die Brücke, eine von vielen auf der Strecke nach Hause.
Seine Gedanken waren bei Maren. Was hatte sie noch einmal erzählt? Sie wäre mit einem Mülli, einem Ingo und ihrer besten Freundin Susanne in der Heidedisco gewesen? Und auf der Rückfahrt, es fing schon an zu dämmern, rief Mülli, der den alten Kadett fuhr plötzlich:
Hickinnbotham!
Sag's nochmal, wollte Ingo hören.
Hick hick hick in botham!
Daraus kannste nen Rapp machen, Mülli, nen geilen Rap! Ingo grölte, er habe sich regelrecht in dieses Wort hineingesteigert.
Susanne hätte sich beide Ohren zugehalten, während Maren genervt aus dem Wagenfenster schaute.
Ich will in mein Bääättt! jaulte Susanne los. Aber niemand nahm sie ernst.
Ingo hielt plötzlich eine Flasche Vodka in der Hand. Willste noch nen Schluck? hätte er Mülli gefragt und ihm den Fusel vor das Gesicht gehalten.
Ich fahre, siehste doch! Biste schon so knülle, das du das nicht mehr blickst? Jetzt komm, zieh die Flasche wech. Wie soll ich da lenken?
Mülli hätte Ingo regelrecht angeblafft.
Und wie finnste den, Ingo ließ nicht locker: Hick in Botham – alles geht vorbei – nur der Wahnsinn bleibt, yeeeeeah! Hicks! Sorry, der gehörte nicht dazu. Also weiter, der Tod kommt – auf dich zu – und schon – kam es im Nu - .
Maren habe ihn angeschrien, aufzuhören, das sei doch nur blöd!
Ihre Stimmung war völlig gekippt. Gute Laune war gestern.
Das am Seitenfenster ein Maisfeld vorbeiflog und Heidschnucken in völliger Gelassenheit wiederkäuten nahm niemand im Wagen wahr. Eine Moorlandschaft neben der Strecke entlockte Susanne dann merkwürdigerweise doch ein: Guckt ma, Drostes Knabe im Moor! Aber niemand hörte zu. In dem Moment, als Maren sagen wollte, dass die Freunde beim nächsten Mal ohne sie in die Disco könnten, schrie Ingo wieder auf: Gugg ma, Mülli, bliggst de das? Sinn da nich zvei auffer Brücke? Ham die eddwa Steine inner Hand?
Mehring nahm sich vor, nach seinem Nachmittagsschlaf Maren anzurufen , um zu erfahren, wie es der Truppe gehen würde. Immerhin waren die vier mit ziemlich schweren Verletzungen nach dem Autocrash in die Klinik gekommen. Der oder die Steinewerfer waren noch nicht gefasst.
Dr. Mehring gähnte. Wo er wieder seine Gedanken hatte. Er sollte jetzt doch besser auf die Straße achten, noch dreißig Kilometer bis zur Kaffeetasse und seinem Bett. Er gähnte erneut. Seine Lider wurden schwer. Dann waren sie zu.
Sekundenlang.
Zu lang.
Plötzlich ein Schuss. Oder war es ein Knall? Auf jeden Fall war er schlagartig wieder wach. Nur war es zu spät. Der brandneue Citroen schlingerte heftig. Zu heftig. Zog an die Leitplanke, Mehring stieg voll auf die Bremse. Zu spät. Der Wagen kollidierte erneut mit der Schutzplanke und ein paar Meter weiter schien ein Reifen zu platzen. Bevor Mehring irgendetwas realisieren konnte, wurde alles um ihn herum schwarz.
Vorsichtig versuchte er seine Augen zu öffnen. Was ihm nicht ganz gelang. Blut klebte an Stirn und Wimpern. Verteilte sich langsam über sein Gesicht. Er spürte mit Zeige-und Mittelfinger den Orbitabögen nach.
Nichts gebrochen. Ein Glück,! Aber da! Was ist das? Mehrings Finger ertastete eine Platzwunde oberhalb der rechten Augenbraue. Aus dieser floss die klebrige Masse ununterbrochen.
Tupfer! Schere! Naht! Schnell! Dr. Mehring lachte zynisch. Ja, Schwester Marrii wäre jetzt sofort zur Stelle. So wie in der letzten Woche, als die Sanitäter eine Schwerverletzte von der Autobahn in die Klinik brachten. Unfall durch Steinewerfer. Seine Kollegen aus der Chirurgie waren wie immer unterbesetzt. Der Pförtner rief bei ihm an, ob er Kapazitäten frei hätte, eine Frau wäre eingeliefert worden, vierunddreißig Jahre alt, schwere Schnittverletzungen im Oberarmbereich und ein Pneumothorax links. Müsse sofort in den OP. Schwester Marrii stand schon steril am Tisch, sie hätte sicher gerne selbst genäht, fragte dann aber nur: Resolon oder Supramid Extra?
Wieso ihm dies jetzt nur alles einfiel, fragte er sich und versuchte mit der anderen Hand an seine Hosentasche zu kommen. Irgendwie muss ich doch ans Taschentuch kommen, fluchte er. Es ging nicht. Mit verschleiertem Blick stellte fest, das die Seitentür den linken Arm eingequetscht hatte und der geöffnete Airbag drückte ihm fast die Luft ab. Für einen kleinen Moment kamen ihm Zweifel auf, ob sich das alles in seiner Realität abspielen würde oder ob er in einem schlechten Film mitspielte.
Aus der Entfernung war ein Martinshorn zu hören. Rettung! Wieder schloss Mehring seine Augen. Und bevor bei ihm alles erneut dunkel wurde, schlüpfte ein letzter Akkord Oblivion in sein Ohr.
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lou-salome - 22. Mär, 17:37