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LLLL

LLLL = Lange Lange Lese Liste


Martin von Arndt
Tage der Nemesis


Martin von Arndt
Oktoberplatz



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Raketenschirm


Hans Zengeler
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Jost Renner
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Joachim Zelter
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Milena Michiko Flašar
Ich nannte ihn Krawatte


Miklós Radnóti
Gewaltmarsch


Michael Moshe Checinski
Die Uhr meines Vaters


Steve Sem-Sandberg
Die Elenden von Łódź

11
Jun
2010

Ben in der Welt

ben-in-der-welt

Doris Lessing begibt sich mit ihrem Roman „Ben in der Welt“, der im Jahr 2000 erschienen ist, auf die Spuren eines Schelmenromans ( es bleiben auch nur Spuren). Ben, der sog. Picaro, irrt, nachdem er von zu Hause weggegangen ist, durch Wälder und Städte, ernährt sich anfangs von rohem Fleisch, ist trotz kräftiger Statur ein ängstlicher junger achtzehnjähriger Mann und ständig auf der Hut vor Menschen, die ihn seelisch und materiell ausbeuten. Während seiner Odyssee von London nach Frankreich und von dort aus nach Brasilien und Paraguay begegnet er trotzdem immer wieder Personen, die ihn beschützen und ernähren.

Drei Frauen, die sich wie Ben auch am Rande der Gesellschaft befinden, begleiten ihn ein kleines Stück auf seinem Weg.
Mrs. Ellen Biggs ist eine alte Londonerin, die Ben mit zu sich nach Hause nimmt. Sie überträgt ihm Verantwortung als sie erkrankt und stärkt damit sein mageres Selbstbewusstsein. Sie muss in die Klinik und während dieser Zeit lernt Ben Rita kennen.
Rita ist eine Prostituierte, die sich in Ben verliebt und ihn solange unterstützt, bis es ihrem Zuhälter und Freund zuviel wird. Dieser wittert mit Ben die Chance seines Lebens und schickt ihn als Drogenkurier nach Frankreich.
In Frankreich lernt Ben Alex kennen, einen verkappten Filmemacher. Auch er sieht in Ben die große Hoffnung, endlich einen Film mit weltweitem Durchbruch zu drehen: mit Ben als Hauptperson.
In den Augen von Alex ist Brasilien als Drehort besser geeignet als der europäische Norden und plötzlich steht Ben in Rio und will nur noch nach Hause, nach England.
Teresa, die bildhübsche Freundin von Alex, nimmt sich Ben an und eine zarte Freundschaft keimt auf.
Teresa hat sich aus den Slums herausgekämpft ( erst durch Prostitution ) und arbeitet am Theater. Sie wird Ben's Beschützerin. Und wie sehr er sie braucht!
Plötzlich tauchen fragwürdige Wissenschaftler auf, die Ben für ihre Forschnungszwecke mißbrauchen wollen und sie schrecken auch nicht vor einer Entführung zurück. Sie stecken Ben nackt in einen Käfig in ihrem Forschungsinstitut. Die Aussicht auf wissenschaftlichen Ruhm lässt jeglichen Skrupel verschwinden, wenn überhaupt je welcher vorhanden war. Es ist u.a. Ben's andersartiges Aussehen, er gleicht eher einem Urmenschen, einem Neandertaler, das die Wissenschaftler wild und irre werden lässt.
Mit Hilfe von zwei Freunden gelingt es Teresa Ben zu befreien und aus Rio auszufliegen.
Neues Ziel ist Paraguay. Dort gibt es Felsenmalereien, deren menschliche Abbilde Ähnlichkeiten mit Ben haben. Dorthin bringen sie Ben, weit über fünftausend Meter hoch ins Gebirge.
In dieser Höhe erkennt Ben die Ausweglosigkeit seiner Einsamkeit und trifft in seiner großer Trauer eine letzte Entscheidung.


Das kurze Leben von Ben ist bestimmt von großer Einsamkeit. Er ist ein Außenseiter, ein Paria, ein Lebewesen, das als halb Mensch halb Tier beschrieben wird. Und der Leser entwickelt erst nach vielen Seiten Sympathie für Ben. Und dann bleibt er bis zum Schluß an seiner Seite, hofft, bangt und zittert mit ihm.
Doris Lessing beschreibt ein düsteres Milieu, in dem sich trotzdem Glück findet ( leider nur nicht für Ben ). Sie benutzt Metaphern aus der Fauna und der Antropologie um die Andersartigkeit von Ben faßbar zu machen. (Er hat ein hochsensibles Gehör und nachts kann er besonders gut sehen. Er ist stark behaart, hat ein gebeugten Gang, einen mächtig ausgeprägten Brustkorb: das Bild eines Menschenaffen suggeriert die Autorin dem Leser immer wieder).
Ständig weist sie auf die innere Zerrissenheit und Wandlungen von Ben hin, eine Spirale, die sich ständig nach unten dreht.
„ Sie ( Teresa ) hielt seine Hand und sprach leise zu ihm. Sie war besorgt wegen seiner Willenlosigkeit, seiner Gleichgültigkeit. Diese junge Frau, die in ihrem kurzen Leben mit allen möglichen Extremen alles gesehen hatte, wusste sehr genau, dass dieser Ben, der Unbekannte, in einer Krise war, eine Art innerer Wandlung durchlief.“

Ich habe „Das fünfte Kind“ von Doris Lessing nicht gelesen. Ich habe Ben in diesem Buch kennengelernt und sein Schicksal macht traurig und nachdenklich. Ähnliche Gefühle hatte ich bei der Lektüre „ Der Chronist der Winde“ von Henning Mankell, in dem Nelio seinen letzten Weg geht.

10
Jun
2010

Der Troglodyt

( insbesondere @phorkyas )

Troglodyten diskutieren nicht

Wieder ein Schlag. Und noch einer. Und noch einer. Sie wundert sich, wie lange die Tür dem häufigem Schlagen standhält. Dann ein Brüllen.
Wer hat im Klo das Papier zum x-ten Mal nicht aufgefüllt, wer hat die Handtücher nicht richtig hingehängt, warum ist der Magnet nicht in der Seife, wo er doch hingehört! Siiiilke!
Silke achtet nicht auf sein Geschrei, geht in die Küche. Nimmt eine fast leere Tüte aus dem Mülleimer, zieht die Schranktür behutsam wieder zu. Da sie nicht mehr richtig schließt, drängt sich ihr eine Geruchsmischung von Putzmitteln und offenen Alkoholflaschen durch den Spalt entgegen.
Mit gerümpfter Nase wandert ihr Blick über den Küchentisch.
Ja, Kaffeetasse, Zucker, Milch, eine Flasche Bourbon, alles an seinem Platz.
Sie sieht nicht, wie der Kaffeelöffel im Sonnenlicht blinkt und ein Strahl verspielt auf das Gedeck fällt.
Sie hört auch nicht, wie das heiße Wasser durch die Schläuche der Kaffeemaschine gluckert.
Jetzt bringe ich den Müll weg und werde erst in einer Stunde wiederkommen. Dann hat er hoffentlich seinen Kaffee und seinen Whisky getrunken und - schläft. Seit Beginn seiner Trinkerei vor, ach was weiß ich noch, vor wieviel Jahren, ist es nicht mehr mit ihm auszuhalten.
Lautlos schleicht sich Silke zur Haustür. Das Hämmern seiner Fäuste gegen die Kacheln, sein Gebrüll nach Papier erfüllt ihre Ohren.
Ach, du kannst mich, denkt sich Silke und hat im gleichen Moment Angst, er könne ihre Gedanken gehört haben.

Am Eingang hängen ihre Hochzeitsphotos. Darunter ein Datum: 1. April 2000.
Ist aber kein Aprilscherz? fragten die Trauzeugen damals belustigt.
Micha steht breitbeinig auf einem Photo, mit seinen einmeterneunzig überragt er Silke deutlich. Seine Arme gleichen Schraubstöcke, sie halten Silke fest umschlungen. Er ähnelt eher einem gut durchtrainiertem Spitzensportler als einem Abteilungsleiter einer Autofirma.
Silke ist zierlich. Ihre kleine spitze Nase mit Sommersprossen fällt dem Betrachter besonders auf. Sie zeigt keck in die Richtung des Fotografen. Ein Nasenpiercing reflektiert das Blitzlicht. Glücklich und stolz schaut sie in den Sucher der Kamera. Hat sie doch in ihrem Betrieb den Traummann gefunden.

Sie öffnet die Wohnungstür. Ein kalter Lufthauch aus dem Treppenhaus streift ihre Beine. Hinter sich hört sie die WC-Tür zuschlagen.
Silke, brüllt es wieder. Wo gehst du hin? Es fehlt Papier. Verdammt, es ist in diesem Haushalt mit dir nicht auszuhalten. Papiiiieeer heeeer!
Mit der Faust schlägt er wieder gegen die Wände, sein Fuß boxt gegen die Küchentür, gegen den Kühlschrank.
Plötzlich wird es ruhig. Silke hält den Atem an. Bestimmt hat er den gedeckten Tisch
gesehen. Leise, ganz leise zieht sie die Tür hinter sich zu.
Ihre linke Hand gleitet über den weichen Holzlauf des Treppengeländers, die Rechte
hält den Müll. Sie achtet nicht auf die Stufen, sie kennt jeden Absatz. Lautlos tastet sie sich die Stockwerke abwärts, vorbei an den Wohnungen der Nachbarn.

Wie kann er sich nur wieder über solche Nichtigkeiten aufregen. Es ist typisch für ihn geworden, bloß keine Diskussionen. Ich bin ihm zuviel, alles ist ihm zuviel. Seine Argumente: Schläge. Und seine Hände waren einmal so zärtlich.

Bekannte Geräusche der Mitbewohner im Haus begleiten sie Richtung Erdgeschoss.
Salvatore Beniashvilli kocht gerade. Dabei pfeift er, wie immer. Und der Duft von leckerem gebratenem Gemüse und Knoblauch sucht sich einen Weg durch jeden Spalt und jede Ritze ins Treppenhaus.
Carmen von nebenan bringt ihr Kind gerade zu Bett. Es schreit und will anscheinend nicht schlafen, denn sie schreit zurück, Ruhe jetzt! Schlaf endlich!
Und - das Kind ist tatsächlich ruhig. Danach kehrt Stille im ganzen Haus ein.

Ihr Sturz ist kurz.
Schmerzhaft.
Die Mülltüte platzt auf, der Abfall verteilt sich im Treppenhaus. Eine leere
Konservendose poltert hektisch Stufe für Stufe weiter, der Lärm verhallt im Keller. Silke hat vor Schreck die Luft angehalten.
Wie in einem Film, öffnen sich sofort die Wohnungstüren. Carmen's besorgtes Gesicht schaut vorwurfsvoll aus dem Türschlitz heraus, der Kleine könnte doch vom Krach wieder wach werden.
Salvatore Beniashvilli's Miene wirft ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, das Essen wird noch anbrennen, aber bei dem Krach, muss man ja nachschauen.
Und dann, Silke schaut nach oben, sieht sie ihn, wie er sich über das Treppengeländer beugt und erneut brüllt:
Was ist das für ein Scheiß Lärm? Hat man noch nicht mal Mittags seine Ruhe? Silke, wo steckst du?
Hier unten.
Wo unten?
Im Treppenhaus.
Sieh zu, dass du hoch kommst. Und das du mir den stinkenden Scheißmüll wegräumst. Hörst du! Ich will keine Beschwerden von den Nachbarn hören.
Jaha.
Was hast du geflüstert? Sag's laut! Jeder soll's verstehen!
Ja, ich räume auf und komme dann.
Also, geht doch!
Silke zieht sich am Treppengeländer langsam hoch, niemand hilft ihr. Ihr linker Knöchel schmerzt, sie spürt schon die Schwellung im Schuh.
Die Nachbarn schließen die Türen, nachdem sie mitbekommen haben, wer den Krach
verursacht hat.
Langsam humpelt sie zum Müllcontainer vor dem Haus.
Auf der anderen Straßenseite ihres Gebäudes beobachtet sie dabei einen lustigen Haufen bunter Gestalten. Mit Schellen an den Füßen und schlagenden Tambourins in den Händen machen sie auf sich aufmerksam. An jedem Briefkasten bleiben sie stehen und werfen Flyer hinein.
Ein junger Mann, der wie ein Höhlenbewohner verkleidet ist, drückt ihr lachend ein Flugblatt in die Hand.
Große Buchstaben darauf werben für:

Troglodyten diskutieren nicht.
Es spielt: Das Theater an der Mauer. Heute, am 7.7.2007 Premiere – 7 Uhr abends.
Eintritt 7 Euro.

Silke überlegt. Troglodyten? Was soll das sein? Egal, es ist die Chance, für zwei, drei Stunden aus der Wohnung zu kommen.
Sie knüllt das Papier in ihre Jeanstasche und humpelt mit Schmerzen ins Haus zurück.

Micha wartet schon in der Wohnungstür auf sie. Er packt ihren Oberarm, zieht sie in den Flur.
Seine Hand holt aus und er versetzt ihr eine schallende Ohrfeige. Silke taumelt zurück, spürt, wie eine warme klebrige Flüssigkeit von ihrer Nase über die Lippen rinnt. Und bevor ihr Rücken die Tapete berührt, zieht er sie an ihren Zöpfen zurück. Sein Gesicht ist verzerrt vor Wut und sie weiß, was jetzt kommt. Es ist nicht das erste Mal. Er stösst sie vor sich her ins Schlafzimmer. Er nimmt sich nicht die Zeit, ihr zuzuhören. Ihren geschwollenen Knöchel beachtet er überhaupt nicht, obwohl Silke ständig wegknickt und versucht, ihm die Lage zu erklären. Er wirft sie auf das Bett, drückt sie in die Kissen, seine linke Hand schnürt ihr den Kehlkopf zu. Aus weiter Ferne hört sie seine Warnung:
Kein Laut, kein Wort von dir, sonst!
Er hebt die rechte Hand, die jetzt zur Faust geballt ist. Silke schließt entsetzt die Augen und spürt schon den Schlag gegen ihre Stirn. Doch irgendetwas lässt ihn sein Vorhaben nicht ausführen. Vielleicht sind es die Schellen- und Tambourinklänge, die erneut vor ihrem Haus auf sich aufmerksam machen.
Micha stößt sich keuchend vom Bettrand weg. Sein Blick ist unkontrolliert, rasend vor Zorn. Abrupt geht er zur Tür und schließt sie ein.

Silke weint nicht, schon lange nicht mehr.
In ihrer Hosentasche sucht sie nach einem Taschentuch, um das Blut der Nase abzutrocknen und findet dabei den Theaterflyer, den sie vorher auf der Straße weggesteckt hatte.
Troglodyten diskutieren nicht!
Das Theater!
Es ist noch Zeit bis neunzehn Uhr. Micha wird jetzt sicher wieder den Whiskey aus dem Schrank holen und sich volllaufen lassen, wie jedes Mal nach seinen wilden
Ausbrüchen.
Und wenn sie Glück hat, dann wird er endlich schlafen.
Wenn nicht, wird er zu ihr zurückkommen und sein Vorhaben beenden.

Silke steht langsam auf. Im Spiegel betrachtet sie ihr Gesicht. Ihr Nasenpiercing hängt nur noch an einem kleinen Stückchen Fleisch und die Wunde hört nicht auf zu bluten. So gut es geht, entfernt sie den Ring und drückt mit dem Taschentuch die Verletzung zu. Dann geht sie zum Fenster.
In der unteren Naht der Gardine fingert sie nach einem harten Stück Metall. Eine kleine Bewegung und schon hält sie einen Schlüssel in der Hand. Nun heißt es warten.

Micha torkelt zum Küchentisch, rauft sich die Haare und greift nach der Flasche. Scharf schneidet sich die Flüssigkeit einen Weg in seinen Magen. Er brennt innerlich.
Teufelszeug, denkt sich Micha. Aber es geht nicht ohne. Diese Abhängigkeiten von Silke, ihrem Geld, ihrer Arbeit, ihren Freunden, nur mit diesem Zeugs auszuhalten. Ich könnte auf alles einschlagen, geht aber nicht.
Er schlägt trotzdem erneut zu, diesmal auf den Tisch.

Nach einiger Zeit hört Silke bekannte Geräusche. Lautes Schnarchen durchbricht die Ruhe ihres Gefängnisses. Sie schließt von innen die Schlafzimmertür behutsam auf, greift nach ihrer Handtasche und ihrem Mantel. An der Tür dreht sie sich nocheinmal um und - erschrickt zu Tode. Micha steht breitbeinig in der Küchentür, in seinen Händen hält er eine ihr bekannte Schnur.
Wo willst du hin? Micha kann sich kaum auf den Füßen halten, aber sein Ton klingt gefährlich, roh.
Die Schmerzen im Knöchel und an der Nase ignoriend, flüchtet sie aus ihren eigenen vier Wänden. Sie zählt die Stufen nicht, sie kennt jeden Absatz. Diesmal schaut niemand aus den Wohnungstüren heraus. Micha, der zu betrunken ist, um ihr zu folgen, weiß genau, sie wird zurückkommen

Der Weg zum „Theater an der Mauer“ ist zum Glück nicht weit.
Ihr unruhiger Blick wandert ständig zur Uhr, die über der Expressomaschine hängt. Unter der Uhr steht in fetten Lettern: „Panta rhei“ (Alles fließt). Heraklit.
Heraklit? Bestimmt soll das Hera Lind heißen, wundert sich Silke. Und was soll fließen? Egal, nur noch dreißig Minuten bis zur Vorstellung.
Endlich kann sie im Theater Platz nehmen. Vor ihr kuschelt ein verliebtes Pärchen. Ihre heißen Lippen kleben aufeinander, lassen nur kurz voneinander los, um Luft zu holen. Dann suchen sich ihre Zungen sofort den Weg zurück.
Im Parkett ist es dunkel geworden. Die Bühnenbeleuchtung geht an.
Vier in Felle gekleidete Schauspieler erscheinen. Sie sehen aus wie Höhlenmenschen. Die erste Szene beginnt mit einem Streit. Sie grunzen, brüllen, stampfen auf den
Bretterboden, schlagen mit ihren Keulen gegen die Bühnenverkleidung. Kehlige Laute wiederholen ständig: tumba ba-umf, kusa gauma, ba-umf.
Hinter Silke flüstert jemand seinem Nebensitzer zu: Ist das Dada?
Nach fünfundvierzig Minuten ist Pause.
Silke atmet auf. Sie hatte sich etwas ganz anderes unter Troglodyten vorgestellt. Trockene Typen oder so ähnlich.
Im zweiten Akt kommt kein Höhlenmensch mehr zu Wort. Ihre Keulen fliegen hin
und her. Fünfundvierzig Minuten lang. Eine Holzkeule landet vor Silkes Füßen. Es ist
ein Chaos.
Als der Vorhang nach diesem Akt fällt, liegen sie erschlagen und blutend auf dem Bühnenboden.

Silke holt tief Luft durch ihre schmerzende Nase.
Dann greift sie entschlossen nach dem Holzprügel und humpelt hinter die Bühne. Lachende und trinkende Schauspieler prosten ihr zu.
Ist doch wirklich gelungen, oder? wollen sie von ihr wissen.
Alles echt Theater, erwidert sie.
Nur bei mir zu Hause, da nicht, denkt sie sich.

Grübelnd macht sie sich auf den Heimweg. Je näher sie ihrem Haus kommt, werden ihre Schritte langamer, immer langsamer und auf der anderen Straßenseite ihres Hauses bleibt sie stehen. Hier hatte ihr vor Stunden der bunte lachende Schauspieler den Flyer in die Hand gedrückt: Troglodyten diskutieren nicht.

Silke bückt sich. Sie hebt ein zerknittertes Theaterblatt auf, das liegengeblieben war. Neugierig betrachtet sie auf der Rückseite das Theaterlogo. Alles fließt – Heraklit. Sie versteht immer noch nicht, was Heraklit damit gemeint haben mag, aber sie fasst einen Entschluß.

Anfangs spürt sie den stechenden Schmerz im Knöchel noch, als sie ihren Gang beschleunigt.
Dann ist sie hinter der nächsten Häuserecke verschwunden.
jbs 2010

9
Jun
2010

Sage des Midas

oder „Reisewünsche“

Budapest-10-09-163
jbs

Haiku 45

sterne überall
leuchten bis sie verglühen
gleich midas goldwunsch
jbs

Sage des Midas
Der sagenhafte Midas soll ein König von Phrygien gewesen sein. Gier und Dummheit waren anscheindend seine Attribute.
Nachdem er einen Wunsch bei Dionysos frei hatte, wünschte er sich, dass alles, was er berühre, zu Gold würde. Der Wunsch wurde ihm erfüllt und da auch sein Essen und Trinken zu Gold wurde, stand er kurz vor dem Tod. Er bat Dionysos, den Wunsch zurückzunehmen und dieser empfahl ihm, im Fluss Paktol zu baden. Der Paktol übernahm die Gabe, und wurde so zum goldreichsten Fluß Kleinasiens.

Hölderlin baute den goldenen Paktol in sein Gedicht: „Der Neckar“ ein.

...
Noch dünkt die Welt mir schön, und das Aug entflieht
Verlangend nach den Reizen der Erde mir,
Zum goldenen Paktol, zu Smyrnas
Ufer, zu Ilions Wald.
...


Wise Guys - Mad World
http://www.youtube.com/watch?v=6GVPX6uB570&feature=related

4
Jun
2010

Performance Art

Kombiniere Komödie mit klassischer Musik und Popkultur und auf der Bühne stehen:

Igudesman & Joo

- We Will Survive -
http://www.youtube.com/watch?v=pI-PloJWbSk


Istrien-2008-325-
jbs
Groznian 2008

Kombiniere Musik und Literatur und deren Melodien werden zur „Struktur gewordener Emotion“.

“In einem Buch rede ich mit einem einzelnen Leser. Ich habe ein Gespräch mit ihm, das ich bestimme durch den Text. Der Leser macht mit seinen Assoziationen ein eigenes Buch daraus. Nach wie vor hat die Literatur die Aufgabe, von etwas zu reden, das mit den klaren Begriffen der Wissenschaft zwischen Neuronenbiologie und Soziologie nicht zu schaffen ist. Es geht um den Innenraum, um Gefühle also. Eine Literatur ohne Gefühle, beim Autor und beim Leser, ist eine verlorene Literatur. Da könnten Sie auch einen Fahrplan lesen.”

Urs Widmer ( in einem Interview mit Matthias Zahnder)

Und die Musik? Sie spricht ohne den Umweg über Begriffe direkt zu unseren Gefühlen. Und vor allem ist sie ohne Übersetzung auf der ganzen Welt verständlich.

3
Jun
2010

Taucherträume

Angesicht der erneuten Ölkatastrophe im Golf von Mexiko frage ich mich, wie lange hält das Ökosystem diese tödlichen Verschmutzungen aus?

Vor der nordspanischen Küste hat es in den letzten Jahrzehnten ungezählte Tankerunfälle gegeben, mit verherrender Zerstörung von Flora und Fauna.

Erst im April d.J. havarierte ein Öltanker auf einem Korallenriff vor der australischen Küste, auf dem Great Barrier Reef und löste einen riesigen Umweltalarm aus.
Dabei musste Australien erst im August 2009 um seine hochempfindliche Unterwasserwelt bangen. 10 Wochen lang strömte unkontrolliert Rohöl ( insgesamt ca. 4,5 Millionen Liter Öl ) ins Meer und zwar nördlich in die Timorsee, ein zwischen Australien und Indonesien gelegenes Meeresbiotop. Eine Ölpest, die in einem hochsensiblem Gebiet tausenden Lebewesen, wie Wale, Delphine, Schildkröten, Korallen, usw. das Leben verseucht hat und immer noch verseucht.

Die größte Umweltkatastrophe dürfte bis heute der aufgelaufene Öltanker Exxon Valdez 1989 vor der Küste Alaskas ausgelöst haben. 40 000 Tonnen Rohöl liefen bei dem Unfall aus und zerstörte die dortige Umwelt auf einer Küstenlänge von 2000 Kilometern und bis heute, 2010, haben sich Region und Bewohner von diesen Schäden nicht erholt.

Der Einsatz für den Klima-und Umweltschutz für die Zukunft der nächsten Generationen hat eine sehr hohe Priorität.
Das deutsche Bundesgesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien ( EEG = Erneuerbarer Energie Gesetz ) nennt im §1 Abs.1 „ die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen soll gefördert“ werden, damit die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, wie z.B. Erdöl, verringert werden kann. Der gute Wille scheint ja vorhanden zu sein, aber die Umsetzung???

Mit Besorgnis kann man über die Ländergrenzen hinausschauen und den anversierten Abbau von Methanhydrat verfolgen ( Alaska, Amerika, Japan, Sibirien, usw.). Ein Klimakiller in den Startlöchern. Die Katastrophe, die man durch den Abbau dieses Energieträgers auslösen würde, dürfte dann wohl das endgültige globale Finale einläuten ...

____________________________________________________________________________________

Bevor ich diesen Beitrag schließe, möchte ich den geneigten LeserInnen meines Blogs mitteilen, dass ich in nächster Zeit ein wenig auf Tauchstation gehen werde.
Mit Interesse, manchmal aber auch mit Erstaunen, habe ich Nachbar-s/-ins Blogeinträge gelesen und festgestellt, ich bin nicht gerade eine typische Bloggerin. Manchmal hat mir der gewisse „Ansporn“ gefehlt, mich bei interessanten oder auch kontroversen Gesprächen einzubringen, z.T. auch deshalb, weil ich zu spät dran war und eine Doppelung der Beiträge die Diskussion nicht weitergeführt hätte. Und manchmal reagiere ich auf bestimmte Themen zu emotional und die Sachlichkeit bleibt auf der Strecke.

Da meine Joggingschuhe und mein Fahrrad in diesem Jahr noch nicht viel Profil eingebüßt haben, weil das Wetter ziemlich nass war, wie bekanntlich ja überall im Land, werden diese sich in nächster Zeit wundern. Denn das Stillstehen wird aufgehoben, der Wetterfrosch lugt wieder hervor und traut sich hinaus- und hinauf ( siehe eingefügtes Photo). So habe ich gute Chancen, nur die Feuchtigkeit meines eigenen Schweißes nach Hause zu tragen und nicht noch die Nässe von oben.
Bis zu meinen nächsten Haikuversuchen müssen Sie also ein wenig warten. Dieses hier habe ich meinem 17-jährigen Sohn gewidmet, der aus sechs Metern Höhe ( oder waren es 7 Meter? Der Mutter kam der Fels auf jeden Fall riesig hoch vor) ins Wasser gesprungen ist.

Istrien-2008-201-
jbs

haiku
im meer spazieren
taucherträume schwärmen aus
unterwasserwelt
jbs


Mein Wetterfrosch

IMG_1491
jbs

30
Mai
2010

Gula-Gula

"Villa Ludwigshöhe"
Korsika-1-062
jbs

Eigentlich habe ich am Ende meines bzw. unseres Urlaubs etwas über den Mythos des Sisyphos von Albert Camus schreiben wollen. Kann ich nicht, werde ich jedoch nachholen. Die Tage verliefen einfach anders, ganz anders.
Pleschinski's Roman „ Ludwigshöhe“ und von Irene Dische „ Der Doktor braucht ein Heim“ kann ich allerdings in der Bibliothek wieder abgeben. Dische hat sich auf jeden Fall gelohnt. Und auch Pleschinski's 560 Seiten lohnen sich unbedingt: „Wer das Sterben verdrängt, der weiß das Leben nicht zu schätzen.“
Ein „Sterbehotel“ wird zu einem aussergewöhnlichem „Haus des Lebens“. Der Autor hat eine ganz verrückte Idee in Literatur umgesetzt:
„Die Erben müssen die Villa für eine gewisse Zeit zu einem Hospiz umfunktionieren. Es sind jedoch nicht Sterbenskranke, die dort auf ihrem letzten Weg begleitet werden sollen, sondern Lebensmüde. Zu allem Übel sollen die Erben den "Finalisten" auch noch dabei helfen, ihr Ansinnen in die Tat umzusetzen. Die drei fügen sich in ihr Schicksal, schalten eine Telefonnummer, verteilen diskret Visitenkarten und schon bald ziehen die ersten Todgeweihten in das Haus ein.
...
Doch während die Geschwister darauf hoffen, die unangenehme Last der Selbstmörder möglichst schnell und diskret los zu werden, entwickelt sich alles ganz anders.“


Der kursiv gesetzte Text ist ein Zitat aus:
http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=8898&key=standard_document_35307410

Und natürlich gehört bei mir irgendwie immer Musik dazu, zum „Abschalten“.
Mari Boine, eine samische Sängerin, tritt in ihren Liedern für die lebendige traditionelle samische Kultur ein.
Auch wenn in ihrer Musik Esoterik mitschwingt ( und auch Melancholie), das eine und andere Lied ist sehr schön. Z.B. dieses hier: Elle
http://www.youtube.com/watch?v=tdoo1STu46c&feature=related

Bissiges:
In Anbetracht der globalen Katstrophen, z.Zt. die Ölpest im Golf von Mexiko, mag man überhaupt nicht schweigen. Aber wer hört zu?
Ich habe das Gefühl, vielen ist diese Realität zu weit weg, eine z.Zt. „Lena-Mania“ liegt doch so viel näher und ist doch auch so schön. Für ein, zwei Tage und dann ist diese Praline auch wieder geschluckt, angedaut und der Zuckerspiegel sinkt drastisch. Die irre Befriedigung mit neuen Pralinés geht weiter und das Reich der Medien spuckt täglich tonnenweise davon auf den Markt.
Such is life.

Nachtrag am 31. Mai 2010:

"Hurrikan-Saison + Schwarzes Gold" = "Overkill"
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,697690,00.html


Mari Boine
mari-boine
Quelle: Internet


Mari Boine ist vor allem mit ihrem Lied „Gula-Gula“ bekannt geworden. Frei übersetzt heißt es dort:
„Höre, Bruder. Höre, Schwester. […] Höre die Stimmen der Vormütter. Sie fragen euch, warum die Erde vergiftet und verbraucht ist. Sie erinnern euch daran, woher ihr gekommen seid. Sie wollen euch daran erinnern, dass die Erde unsere Mutter ist. Wenn wir ihr das Leben nehmen, werden wir mit ihr sterben.“ (freie, zusammenfassende Übersetzung)

Das kommt einem sehr bekannt vor.

http://www.planet-wissen.de/politik_geschichte/voelker/naturvoelker/index.jsp

Und dann finde ich mich doch noch bei Sisyphos und Camus wieder ( auch wenn ich ihn mir noch nicht erarbeitet habe, einige Sätze sind hängen geblieben):
... „Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.“ ...

29
Mai
2010

Paomo, Paoying und Rhizotomie

seifenblase
Quelle:
http://www.kinder.uni-oldenburg.de/bilder/seifenblase.jpg


Belsazar
Heinrich Heine


...
Und sieh! und sieh! an weißer Wand
Da kam's hervor wie Menschenhand;

Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

Der König stieren Blicks da saß,
Mit schlotternden Knien und totenblass.

Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
Und saß gar still, gab keinen Laut.

Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
...


Wie lange werden wir noch den Strom aus der Dose, die Schokolade auf den Lebkuchen, den Kakao, usw. konsumieren, bzw. bezahlen können?

Beitrag zur Rohstoffblase
Westpol ( WDR ) vom 24.01.2010, ab Minute 22:10
http://www.wdr.de/tv/westpol/sendungsbeitraege/2010/0124/rohstoffblase.jsp

Thyssen-Krupp warnt vor dramatischer Rohstoffblase
aus: Spiegel-Online, 29.05.2010
http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/0,1518,697497,00.html

China ist in der Moderne angekommen
aus: Cicero März 2010, Seite 38 – 40, von Tilman Spengler
http://www.cicero.de/97.php?ress_id=1&item=477

Die neue Form der Tulpenmanie
Welt-Online, 2001
http://www.welt.de/print-wams/article610662/Die_neue_Form_der_Tulpenmanie.html


Paomo, chin., steht für Blase oder Schaum;
Paoying, chin., steht für Blasenschatten


Literaturhinweis:

Oscar Heym/ Die Reserven
Rezension: http://www.glanzundelend.de/Artikel/oscarheym.htm

28
Mai
2010

In Praise of Dreams

Jan Garbarek, Kim Kashkashian & Manu Katché

jan-gabarek
Quelle: Internet


In Praise of Dreams
http://www.youtube.com/watch?v=8XDqBv7566A&feature=related

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