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LLLL

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BuchBeSprechUngen

18
Okt
2010

Die Axt für ein gefrorenes Meer

„Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“
Franz Kafka

Philippe Claudel, Jahrgang 1962, ist ein französischer Schriftsteller. 2006 erschien von ihm das Buch „ Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung“ im Rowohlt Verlag.

Zuerst ist man verwirrt, da „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Eric Emmanuell Schmitt längst Eingang in unseren Kopf bekommen hat - und nun ein fast gleicher Buchtitel?
Im Original heißt der Roman von Philippe Claudel „ La petite fille de Monsieur Linh“ ( „Die Enkeltochter des Monsieur Linh“).
Es liegt nahe, dass aus verkaufstaktischen Gründen der französische Buchtitel nicht für den deutschen Buchmarkt übernommen wurde.

Die Geschichte erzählt von einem Greis aus asiatischem Raum, der mit seiner erst ein paar Wochen alten Enkelin als Flüchtling nach Frankreich kommt. Völlig geruchlos empfindet er diese Welt, in der er sich zurecht finden muss, weil er für seine kleine Enkelin aus der zerbombten Heimat geflohen ist.
Schon nach drei Seiten ( auf Seite 10 des Buches) erahnt der Leser, auf was er sich emotional einlassen wird:

„ Der alte Mann ist losgelaufen. Außer Atem ist er beim Reisfeld angekommen, von dem nur noch ein riesiges, mit plätscherndem Wasser gefülltes Loch übrig war, und am Rand des Kraters lag der aufgerissene Kadaver eines Büffels. Sein Joch war zerknickt worden wie ein Strohhalm. Dort fand er auch die Leichname seines Sohnes und dessen Frau sowie, ein paar Schritte weiter, die Kleine, mit weit aufgerissenen Augen, in Windeln gewickelt, unversehrt, und neben ihr eine Puppe, ihre Puppe, so groß wie sie selbst, der eine Explosion den Kopf abgerissen hatte. Das kleine Mädchen war zehn Tage alt. Ihre Eltern hatten sie Sang diû genannt, was in der Sprache ihres Heimatlandes >> süßer Morgen << bedeutet.“

Monsieur Linh fühlt sich leer, einsam und entwurzelt. Nur die Gegenwart seiner Enkelin und die damit verbundene Aufgabe, ihr jeden Tag einen neuen Morgen zu zeigen, hält ihn am Leben.
Nach anfänglicher Zurückgezogenheit inmitten seiner Leidensgenossen in einem Flüchtlingsheim, fasst er Mut und geht auf die Straße zum Spazieren gehen. Immer mit Sang diû auf dem Arm.
So vergehen viele Wochen im gleichen Trott, Monsieur Linh lernt „seine“ Straße immer besser kennen, aber die Einsamkeit, trotz Enkelin, bleibt. Gegenwärtige Alltagsbilder, die er bei seinen Spaziergängen beobachtet, vermischen sich mit Erinnerungen aus seiner Heimat.

„ Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, drängen sich zahllose Familien am Eingang des Parks, andere kommen heraus. Die beiden bunten, lärmenden Ströme fließen ineinander und bilden große Strudel wie jene, die man in der Regenzeit im Fluss der Schmerzen unweit des Dorfes sieht.
Der Fluss heißt so, weil der Legende nach ...“ Seite 45.


Und dann kommt der Tag, der das Leben von Monsieur Linh erneut verändern wird. Er lernt Monsieur Bark kennen. Einen großen kräftig gebauten Franzosen, der von Statur her das Gegenteil vom klapperdürren Linh ist. Während Bark eine Zigarette nach der anderen raucht, erzählt er Monsieur Linh vom Tod seiner Frau, vom Leben ohne sie und ohne Kinder, von seinem Einsatz als Soldat in (wahrscheinlich) Indochina und die damit verbundenen Greueltaten. Monsieur Linh versteht nicht ein Wort der fremden Sprache, aber er spürt die Wärme, die von der anfangs noch unbekannten Person ausgeht. Und so entwickelt sich eine intensive Freundschaft zwischen den beiden Männern, die auch nicht aufhört, als Monsieur Linh von den Behörden abgeholt wird und in ein am Stadtrand gelegenes Altenheim gesteckt wird.

Von dort versucht Monsieur Linh auszubrechen, was ihm aber erst nach einem missglücktem Versuch gelingt.
Die Erzählung läuft am Ende auf ihren Höhepunkt zu, in dem der Greis mit seiner Enkelin auf der verzweifelten Suche nach seinem Freund Bark durch die riesige Stadt irrt, ihn zum Schluß dann tatsächlich auf der Straßenseite endeckt, auf der ihre gemeinsame Bank steht, die ihnen wochenlang als Treffpunkt gedient hatte.
Philippe Claudel lässt seine Erzählung mit einer gelungenen Schlußpointe enden.


Man könnte meinen, manche der vorangegangenen Rezensenten haben nicht ganz Unrecht, wenn sie in ihrer Kritik die manchmal kitschig anmutenden Szenen erwähnen. Leider kann ich zu wenig französisch, ich hätte das Büchlein nämlich dann in der Sprache gelesen, in der es entstanden ist. Ich bin mir sicher, dass die Übersetzung nicht ganz glücklich verlaufen ist und somit könnte tatsächlich obig beschriebener Eindruck erweckt werden.
Aber Beschreibung von Krieg und Massakern kann nie kitschig sein, nur aufs Äußerste tragisch.
Länder-oder Städtenamen werden übrigens nie genannt und doch wird dem genauen Leser das Massaker von My Lai vom 16. März 1968 vor Augen geführt.

Philipp Claudel's Sprache ist einfach und klar. Aber auch raffiniert. Eindrücklich erzählt er von einem im Herzen zutiefst verletzten Menschen, der nach schlimmsten Kriegserlebnissen entwurzelt wird und trotzdem die Hoffnung nicht verliert, weil ihm die Sorge um das Enkelkind Grund gibt, weiterzuleben.
Mit den >>Großen Gefühlen, wie Tod und Trauer, Verzweifelung, aber auch Fürsorge, Freundschaft und Liebe<< beschreibt Claudel die Großvaterrolle und die Freundschaft zwei alter Männer.

Claudel's kleines literarisches Werk gehört in die Reihe von Alessandro Barrico's „Seide“ und „Novecento“ sowie Eric Emmanuell Schmitt's „Die Dame in Rosa“ und „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“.

Wenn sich der Verlag für eine andere Umschlaggestaltung entschieden hätte, dann wäre alles rund gewesen.
jbs 2010


Das letzte Zitat ist aus:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/532796/

27
Sep
2010

Bonaventura

Lose Gedanken zu

"Die Nachtwachen"

In den Nachtwachen von Bonaventura drückt der Schriftsteller seinen großen Weltschmerz aus.
Er äußert seine Empfindungen in einer gebildeten Sprache, die immer wieder groteske und unheimliche Szenen beschreibt. Bonaventura versteht es, griechische Mythologie und große Namen wie Shakespeare ( Macbeth), Kotzebue und große Philosophen wie z.B. Voltaire u.v.m. in die Handlungen einfließen zu lassen, um dem Leser mitzuteilen, dass nicht nur er die große Ungerechtigkeit auf der Welt sieht, sondern das es seit Beginn der Menschheit Ausbeutung, Unrecht, Folter usw. gibt. ( siehe z.B. 10. Nachtwache, Tod einer Nonne, S. 91) und dies von großen Gelehrten und Schriftstellern längst auch schon niedergeschrieben wurde.

Der Leser wird in eine Welt versetzt, in dem es um die Existenz notleidender Menschen geht. Er beschreibt ihre Lebensumstände, wie man sie auf der ganzen Welt finden konnte und sogar heute noch findet. (Deshalb kann man die Nachtwachen als immer noch aktuell ansehen).

Das „Die Nachtwachen“ von Bonaventura ein Werk der Schwarzen Romantik ist, merkt der Leser in jedem Kapitel. Die Inhalte bestehen aus dunklen, nächtlichen Episoden und haben einen phantastischen-makabren Inhalt. Bonaventura nimmt die Justiz und den Klerus gesellschaftskritisch ins Visier und kritisiert scharf.
So z.B. den Tod des Freidenkers, der bis zum letzten Atemzug vom kirchlichen Vertreter zum Glauben gebracht werden soll. ( siehe S.7).
Die Marionettenhandlungen : die ganze Menschheit wird von Wenigen durch unsichtbare Fäden dirigiert. Z.B. S. 19, 3. NW, kalter Gerechter). S. 33, ..tatenlosesten Akteuren...).

Der Freitod des Poeten durch den Strick, die dazu gehörende sensible Betrachtung des Kinderbildes, der Hunger, der in dieser Dachstube so groß war, das sogar die Mäuse am Manuskript zu fressen begannen, weil es nichts zu essen gab. Und den Strick hatte der Poet nur deshalb, weil der Verlag ihm sein Buch zurückgeschickt hatte und dieses mit besagtem Strick verschnürt war.
Makabre Szenenbeschreibungen verstärken die Aussagen seiner Texte, so z. B. in der 16.NW, S. 140, in der 2.NW, in der 10.NW..

Die Rede des Hanswurstes zum Thema Weltgericht erreicht einen Höhepunkt ( siehe 6. Nachtwache, ab S. 48). In aller Deutlichkeit öffnet er dem Leser die Augen, in dem er ihm die wahren Seiten der Menschen zeigt. Das Verhalten der Kirchenleute (Klerus), des Adels, des Gerichtes, des einfachen Volkes. Jeder hat eine Maske, eine Larve auf, um sich den besten Platz im Himmel zu ergattern. Bonaventura kann das Leben so nicht aushalten und „versteckt“ sich deshalb lieber hinter dem Beruf des Nachtwächters, später geht er auch gerne ins Irrenhaus, denn dort empfindet er das ehrliche Leben und nicht draußen vor der Tür.

Hier wird sein Weltschmerz deutlich. Er kann an nichts mehr glauben, auch nicht daran, dass es nach dem Tod eine Ewigkeit gibt. Hier kann man sicher von Nihilismusgedanken sprechen, wie u.a. auf den Seiten 6 (... er schaut blaß und ruhig in das leere Nichts, wohin er nach einer Stunde einzugehen gedenkt.),
S. 75, 8.NW, .... und das Leben ist nur das Schellenkleid daß das Nichts umgehängt hat,...,
S.122, 14.NW,... da sah ich mich selbst mit mir allein im Nichts,...,
s. 123, 14.NW, ...gottlob, es gibt einen Tod, und dahinter liegt keine Ewigkeit),
S. 141, 16.NW, ... ob ich gleich fühlte, dass dieser Grimm und Zorn, wie alles übrige, auch mit zum Nichts gehörte.
S. 141, 16. NW, .... und der alte Schwarzkünstler schien dem Nichts Trotz bieten zu wollen.
S. 143, 16. NW, ab: Ich streue diese Handvoll väterlichen Staub in die Lüfte und es bleibt – Nichts! ..........Nichts!

Bonaventura zweifelt und sucht sein Ich im ganzen Roman. Die bestehenden Verhältnisse waren zutiefst unbefriedigend.
Autobiographische Züge findet der Leser in der 1. NW, S. 5: ....er war ein verunglückter Poet, der nur in der Nacht wachte,....; S. 48, 6.NW: was gäbe ich doch darum, so recht zusammenhängend und schlechtweg erzählen zu können,... .

Für mich war diese Lektüre ein schwieriger Text und erst nach dreimaligem Lesen habe ich mich in Kreuzgangs Gedanken hineinversetzen können und bin mit dem Verstehen des Romans immer noch nicht fertig.

Link zum Reclamheft:
http://www.reclam.de/detail/978-3-15-008926-2

11
Jun
2010

Ben in der Welt

ben-in-der-welt

Doris Lessing begibt sich mit ihrem Roman „Ben in der Welt“, der im Jahr 2000 erschienen ist, auf die Spuren eines Schelmenromans ( es bleiben auch nur Spuren). Ben, der sog. Picaro, irrt, nachdem er von zu Hause weggegangen ist, durch Wälder und Städte, ernährt sich anfangs von rohem Fleisch, ist trotz kräftiger Statur ein ängstlicher junger achtzehnjähriger Mann und ständig auf der Hut vor Menschen, die ihn seelisch und materiell ausbeuten. Während seiner Odyssee von London nach Frankreich und von dort aus nach Brasilien und Paraguay begegnet er trotzdem immer wieder Personen, die ihn beschützen und ernähren.

Drei Frauen, die sich wie Ben auch am Rande der Gesellschaft befinden, begleiten ihn ein kleines Stück auf seinem Weg.
Mrs. Ellen Biggs ist eine alte Londonerin, die Ben mit zu sich nach Hause nimmt. Sie überträgt ihm Verantwortung als sie erkrankt und stärkt damit sein mageres Selbstbewusstsein. Sie muss in die Klinik und während dieser Zeit lernt Ben Rita kennen.
Rita ist eine Prostituierte, die sich in Ben verliebt und ihn solange unterstützt, bis es ihrem Zuhälter und Freund zuviel wird. Dieser wittert mit Ben die Chance seines Lebens und schickt ihn als Drogenkurier nach Frankreich.
In Frankreich lernt Ben Alex kennen, einen verkappten Filmemacher. Auch er sieht in Ben die große Hoffnung, endlich einen Film mit weltweitem Durchbruch zu drehen: mit Ben als Hauptperson.
In den Augen von Alex ist Brasilien als Drehort besser geeignet als der europäische Norden und plötzlich steht Ben in Rio und will nur noch nach Hause, nach England.
Teresa, die bildhübsche Freundin von Alex, nimmt sich Ben an und eine zarte Freundschaft keimt auf.
Teresa hat sich aus den Slums herausgekämpft ( erst durch Prostitution ) und arbeitet am Theater. Sie wird Ben's Beschützerin. Und wie sehr er sie braucht!
Plötzlich tauchen fragwürdige Wissenschaftler auf, die Ben für ihre Forschnungszwecke mißbrauchen wollen und sie schrecken auch nicht vor einer Entführung zurück. Sie stecken Ben nackt in einen Käfig in ihrem Forschungsinstitut. Die Aussicht auf wissenschaftlichen Ruhm lässt jeglichen Skrupel verschwinden, wenn überhaupt je welcher vorhanden war. Es ist u.a. Ben's andersartiges Aussehen, er gleicht eher einem Urmenschen, einem Neandertaler, das die Wissenschaftler wild und irre werden lässt.
Mit Hilfe von zwei Freunden gelingt es Teresa Ben zu befreien und aus Rio auszufliegen.
Neues Ziel ist Paraguay. Dort gibt es Felsenmalereien, deren menschliche Abbilde Ähnlichkeiten mit Ben haben. Dorthin bringen sie Ben, weit über fünftausend Meter hoch ins Gebirge.
In dieser Höhe erkennt Ben die Ausweglosigkeit seiner Einsamkeit und trifft in seiner großer Trauer eine letzte Entscheidung.


Das kurze Leben von Ben ist bestimmt von großer Einsamkeit. Er ist ein Außenseiter, ein Paria, ein Lebewesen, das als halb Mensch halb Tier beschrieben wird. Und der Leser entwickelt erst nach vielen Seiten Sympathie für Ben. Und dann bleibt er bis zum Schluß an seiner Seite, hofft, bangt und zittert mit ihm.
Doris Lessing beschreibt ein düsteres Milieu, in dem sich trotzdem Glück findet ( leider nur nicht für Ben ). Sie benutzt Metaphern aus der Fauna und der Antropologie um die Andersartigkeit von Ben faßbar zu machen. (Er hat ein hochsensibles Gehör und nachts kann er besonders gut sehen. Er ist stark behaart, hat ein gebeugten Gang, einen mächtig ausgeprägten Brustkorb: das Bild eines Menschenaffen suggeriert die Autorin dem Leser immer wieder).
Ständig weist sie auf die innere Zerrissenheit und Wandlungen von Ben hin, eine Spirale, die sich ständig nach unten dreht.
„ Sie ( Teresa ) hielt seine Hand und sprach leise zu ihm. Sie war besorgt wegen seiner Willenlosigkeit, seiner Gleichgültigkeit. Diese junge Frau, die in ihrem kurzen Leben mit allen möglichen Extremen alles gesehen hatte, wusste sehr genau, dass dieser Ben, der Unbekannte, in einer Krise war, eine Art innerer Wandlung durchlief.“

Ich habe „Das fünfte Kind“ von Doris Lessing nicht gelesen. Ich habe Ben in diesem Buch kennengelernt und sein Schicksal macht traurig und nachdenklich. Ähnliche Gefühle hatte ich bei der Lektüre „ Der Chronist der Winde“ von Henning Mankell, in dem Nelio seinen letzten Weg geht.

30
Mai
2010

Gula-Gula

"Villa Ludwigshöhe"
Korsika-1-062
jbs

Eigentlich habe ich am Ende meines bzw. unseres Urlaubs etwas über den Mythos des Sisyphos von Albert Camus schreiben wollen. Kann ich nicht, werde ich jedoch nachholen. Die Tage verliefen einfach anders, ganz anders.
Pleschinski's Roman „ Ludwigshöhe“ und von Irene Dische „ Der Doktor braucht ein Heim“ kann ich allerdings in der Bibliothek wieder abgeben. Dische hat sich auf jeden Fall gelohnt. Und auch Pleschinski's 560 Seiten lohnen sich unbedingt: „Wer das Sterben verdrängt, der weiß das Leben nicht zu schätzen.“
Ein „Sterbehotel“ wird zu einem aussergewöhnlichem „Haus des Lebens“. Der Autor hat eine ganz verrückte Idee in Literatur umgesetzt:
„Die Erben müssen die Villa für eine gewisse Zeit zu einem Hospiz umfunktionieren. Es sind jedoch nicht Sterbenskranke, die dort auf ihrem letzten Weg begleitet werden sollen, sondern Lebensmüde. Zu allem Übel sollen die Erben den "Finalisten" auch noch dabei helfen, ihr Ansinnen in die Tat umzusetzen. Die drei fügen sich in ihr Schicksal, schalten eine Telefonnummer, verteilen diskret Visitenkarten und schon bald ziehen die ersten Todgeweihten in das Haus ein.
...
Doch während die Geschwister darauf hoffen, die unangenehme Last der Selbstmörder möglichst schnell und diskret los zu werden, entwickelt sich alles ganz anders.“


Der kursiv gesetzte Text ist ein Zitat aus:
http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=8898&key=standard_document_35307410

Und natürlich gehört bei mir irgendwie immer Musik dazu, zum „Abschalten“.
Mari Boine, eine samische Sängerin, tritt in ihren Liedern für die lebendige traditionelle samische Kultur ein.
Auch wenn in ihrer Musik Esoterik mitschwingt ( und auch Melancholie), das eine und andere Lied ist sehr schön. Z.B. dieses hier: Elle
http://www.youtube.com/watch?v=tdoo1STu46c&feature=related

Bissiges:
In Anbetracht der globalen Katstrophen, z.Zt. die Ölpest im Golf von Mexiko, mag man überhaupt nicht schweigen. Aber wer hört zu?
Ich habe das Gefühl, vielen ist diese Realität zu weit weg, eine z.Zt. „Lena-Mania“ liegt doch so viel näher und ist doch auch so schön. Für ein, zwei Tage und dann ist diese Praline auch wieder geschluckt, angedaut und der Zuckerspiegel sinkt drastisch. Die irre Befriedigung mit neuen Pralinés geht weiter und das Reich der Medien spuckt täglich tonnenweise davon auf den Markt.
Such is life.

Nachtrag am 31. Mai 2010:

"Hurrikan-Saison + Schwarzes Gold" = "Overkill"
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,697690,00.html


Mari Boine
mari-boine
Quelle: Internet


Mari Boine ist vor allem mit ihrem Lied „Gula-Gula“ bekannt geworden. Frei übersetzt heißt es dort:
„Höre, Bruder. Höre, Schwester. […] Höre die Stimmen der Vormütter. Sie fragen euch, warum die Erde vergiftet und verbraucht ist. Sie erinnern euch daran, woher ihr gekommen seid. Sie wollen euch daran erinnern, dass die Erde unsere Mutter ist. Wenn wir ihr das Leben nehmen, werden wir mit ihr sterben.“ (freie, zusammenfassende Übersetzung)

Das kommt einem sehr bekannt vor.

http://www.planet-wissen.de/politik_geschichte/voelker/naturvoelker/index.jsp

Und dann finde ich mich doch noch bei Sisyphos und Camus wieder ( auch wenn ich ihn mir noch nicht erarbeitet habe, einige Sätze sind hängen geblieben):
... „Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.“ ...

9
Mrz
2010

Im Untergrundverlag „Édition de Minuit“

erschien 1942 von Jean Bruller alias „Vercors“ das Buch „ Das Schweigen des Meeres“.

Ich hatte es vor Jahren gelesen. Es gehört zu den Büchern, die ich gerne wieder lese, öfters. Nachdem ich ein Interview mit Günter Safranski über Nietzsche auf youtube angehört hatte, es ging auch über Sprache, da kam mir das Buch in Erinnerung.
Lesenswerte Zeilen, in denen nur der Protagonist spricht, seine beiden unfreiwilligen französischen Gastleute reden während des Aufenthalts des deutschen Offiziers ( = Protagonist) nicht ein Wort mit ihm – einen ganzen Winter lang nicht.
Der Offizier ist Komponist und ein Liebhaber von schöngeistigen Dingen. Am Anfang der Erzählung erzählt er stolz seinen stummen Gastgebern von den deutschen Ideen, Deutschland und Frankreich zu „vermählen“, zwei Länder mit unglaublicher Geschichte.

S.25: „... . Einmal sagte er ( es war in der ersten Zeit seiner Besuche):
>> Worin liegt der Unterschied zwischen einem Feuer bei mir zu Hause und diesem hier? Gewiß, das Holz, das Feuer, der Kamin sind ähnlich. Aber nicht das Licht. Es hängt von den Dingen ab, die es beleuchtet – von den Bewohnern dieses Rauchzimmers, von den Möbeln, den Wänden, den Büchern in den Regalen...<<
>> Warum liebe ich diesen Raum so sehr?<< fragte er nachdenklich. >> Besonders schön ist er nicht – verzeihen Sie!...<< Er lachte: >> Ich meine,, es ist kein Museumsraum ... Von ihren Möbeln wird man nicht sagen: das sind hier Prinkstücke ... Nein ... Aber dieser Raum hat eine Seele. Dieses ganze Haus hat eine Seele.<<
Er stand vor den Büchrreihen der Bibliothek. Zärtlich strichen seine Finger über die Einbände.
>> ... Balzac, Barrès, Baudelaire, Beaumarchais, Boileau, Buffon ... Chateaubriand, Corneille, Descartes, Fénelon, Flaubert ... La Fontaine, France, Gautier, Hugo ... Welch eine Aufzählung!<< sagte er mit leichtem Lachen und nickte mit dem Kopf. >> Und ich bin erst beim Buchstaben H!... Weder Molière noch Rabelais, noch Racine, noch Pascal, noch Stendhal, noch Voltaire, noch Montaigne, noch all die anderen!...<< Er strich weiter langsam die Buchrücken entlang und ließ von Zeit zu Zeit ein kaum hörbares >> Ha!<< entschlüpfen, wenn er, wie ich ( Anmerkung: Der unfreiwillige Gastgeber ist die erzählende Person) vermute, auf einen Namen stieß, an den er nicht gedacht hatte. >> Bei den Engländern<<, fuhr er fort, >> da denkt man gleich: Shakespeare. Bei den Italienern: Dante. In Spanien: Cervantes. Und bei uns sofort: Goethe. Dann muss man überlegen. Doch wenn man sagt: Und Frankreich? Wer fällt einem da zuerst ein? Molière? Racine? Hugo? Voltaire? Rabelais? Oder wer sonst? Sie drängen sich wie eine Menschentraube vor dem Eingang eines Theaters, und man weiß nicht, wen man zuerst einlassen soll.<<
Er drehte sich um und sagte ernst: >> Doch in der Musik liegen wir vorn: Bach, Händel, Beethoven, Wagner, Mozart ... mit wem beginnen?<<
>> Und wir haben uns bekriegt!<< sagte er langsam und schüttelte den Kopf. Er kehrte zum kamin zurück, und seine lächelnden Augen richteten sich auf das Profil meiner Nichte. >> Aber dies ist das letztemal! Wir werden uns nicht mehr bekämpfen: Wir werden heiraten!<< In seinen Augenwinkeln erschienen Fältchen, auf den schmalen Wangen unter den Backenknochen zeichneten sich lange Grübchen ab, die weißen Zähne kamen zum Vorschein. Heiter sagte er: >> Ja! Ja!<< Ein kleines Kopfnicken bekräftigte seine Worte.“

In diesem Abschnitt der Erzählung geht eine Verwandlung in dem Offizier vor, die er zu dem Zeitpunkt selbst noch nicht so ganz zu verspüren mag. Im weiteren Verlauf seines Aufenthalts wird ihm die Absurdität des Krieges jedoch sehr deutlich, und als die Zeit des Gehens gekommen war, hatte er eine für sich folgenschwere Entscheidung getroffen.

Das Schweigen in dem Haus wird wie ein dichter Nebel beschrieben. Dicht und reglos. Man möchte die Fenster aufreissen und frische Luft ins Haus lassen.

Link zum Interview von Rüdiger Safranski über den Schauplatz Nietzsche, „Ihr sollt Dichter eures Lebens sein!“:
http://www.youtube.com/watch?v=Nz_ZK38zfN4

Link zum Buch Vercors:
http://www.diogenes.ch/leser/katalog/a-z/s/9783257233155/buch

21
Jan
2010

Eine Suche nach dem Stellenwert des Glücks

und
Ein Stadtportrait
und
Ein Gesellschaftsprotait

Mit dem 1995 erschienenen Buch „33 Augenblicke des Glücks“ erlangte Ingo Schulze große schriftstellerische Anerkennung und startete damit seine Schriftstellerlaufbahn.

Ich habe heute sein Buch nun doch fertig gelesen, obwohl ich nach der Küchen-Sauna-Kannibalismus-Erzählung aufgehört hatte, Schulze weiterhin meine Zeit und Neugierde zu schenken. Schon in den vorangegangenen Erzählungen steckte soviel morbider Inhalt, dass ich mich frage, wie es zu soviel positiver Resonanz kommen kann. Seine detaillierte Stadtbeschreibung, seine z.T. wirklich interessanten Personenportaits und seine genauen Beobachtungen gefallen mir, gar keine Frage. Nur, er bereitet mich als Leserin in keinster Weise auf den Ausbruch vor, den er bei fast jeder Geschichte vollzieht. Ich betrachte beim lesen nicht sozusagen eine „eitrige Geschwulst auf der Haut“, die sich mit der Zeit verschlechtert, um in einem bestimmten Stadium aufzuplatzen. Nein, Schulze bevorzugt den heimlichen Tumor. Der unter dem Schönen wächst und wächst und ohne Vorankündigung explodiert und wie ein Vorschlaghammer wirkt. Ab diesem Zeitpunkt habe ich die vorangegangenen Beschreibungen von Stadt und Mensch vergessen. Und diese Dominanz der Eruption ist mir zu ausgeprägt. Es mag sein, dass Schulze gerade das ja provoziert, denn im Leben sieht es viel zu oft so aus. Aber dann ein Buch „ 33 Augenblicke des Glücks“ zu betiteln? Gut, jeder empfindet sein Glück anders. Der Optimist, der Pessimist, der Kriminelle, der Kranke, der Wohlhabende, der am Existenzminimum lebende, oder, oder.
Im Klappentext steht u.a.: „ ..., weil diese Aufzeichnungen auch die Möglichkeit in sich trügen, die anhaltende Diskussion um den Stellenwert des Glücks zu beleben.“
Ja, das ist ihm auf jeden Fall bei mir gelungen, erneut über das Glück nachzudenken und nachzulesen. Siehe auch hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Birnbacher
http://sammelpunkt.philo.at:8080/1003/1/BirnbacherD1.pdf
Aber es bleibt dabei, Glücksgefühle, diese Prosa gelesen zu haben, sind nicht aufgetaucht und erneut werde ich nun kein Buch mehr von ihm lesen. Zumindest in allernächster Zeit nicht.
( nachgeschoben: Kleiner Fehler im Klappentext, Hofmann wird im Prosatext nur mit einem "f" geschrieben. In Anlehnung und dem Vergleich mit E.T.A. Hoffmann stimmt ja das doppelte "f", aber später ist ja eben der nicht mehr gemeint).


Der Philosoph Dieter Birnbacher erwähnt im e-Journal der Philosophie ein Gedicht von Nietzsche, das gefällt mir:

"Mein Glück!"
Friedrich Nietzsche
Die Tauben von San Marco seh ich wieder:
Still ist der Platz, Vormittag ruht darauf.
In sanfter Kühle schick' ich müssig Lieder
Gleich Taubenschwärmen in das Blau hinauf —
Und locke sie zurück,
Noch einen Reim zu hängen in's Gefieder
— mein Glück! Mein Glück!

Du stilles Himmels-Dach, blau-licht, von Seide,
Wie schwebst du schirmend ob des bunten Bau's,
Den ich — was sag ich? — liebe, fürchte, neide ...
Die Seele wahrlich tränk' ich gern ihm aus!
Gäb' ich sie je zurück? —
Nein, still davon, du Augen-Wunderweide!
— mein Glück! Mein Glück!

Du strenger Turm, mit welchem Löwendrange
Stiegst du empor hier, siegreich, sonder Müh!
Du überklingst den Platz mit tiefem Klange
Französisch, wärst du sein accent aigu?
Blieb ich gleich dir zurück,
Ich wüsste, aus welch seidenweichem Zwange...
— mein Glück! Mein Glück!

Fort, fort, Musik! Lass erst die Schatten dunkeln
Und wachsen bis zur braunen lauen Nacht!
Zum Tone ist's zu früh am Tag, noch funkeln
Die Gold-Zieraten nicht in Rosen-Pracht,
Noch blieb viel Tag zurück,
Viel Tag für Dichten, Schleichen, Einsam-Munkeln
— mein Glück! Mein Glück!

20
Jan
2010

Bronsteins Kinder

Autor: Jurek Becker ( 1937 – 1997 )

Liebe Ana, lieber Matti,
ich habe versucht, „Bronsteins Kinder“ zu verstehen und stelle Euch hier meine Gedanken dazu vor, vielleicht können sie Euch bei den Prüfungsvorbereitungen eine Stütze sein. Aber deshalb nicht vergessen, selbst lesen!!! ( Dies ist auch der Grund, weshalb ich die Inhaltsangabe nur stark gekürzt wiedergebe).
Viel Erfolg :) wünscht
lou-salome

Thematische Aspekte

Selbstjustiz im Hinblick auf die NS-Verbrechen: Geiselnahme und Verhör unter Folter des ehemaligen KZ-Aufsehers Arnold Heppner
Vater-und-Sohn-Konflikt: Mangelnde gegenseitige Anerkennung, es findet keine Kommunikation statt
Generationskonflikt: Kein gemeinsamer Erfahrungshorizont von Vater und Sohn
Täter als Opfer: Arnold Heppner, ehemaliger KZ-Aufseher, wird 30 Jahre nach dem Holocaust Geiselopfer
Opfer als Täter: Arno Bronstein, Gordon Kwart und Erik Rotstein, ehemalige KZ-Insassen und Opfer, werden 1973 zu Tätern
Liebesgeschichte: Die Liebe von Hans Bronstein und Martha Lepschitz kühlt ab und hat keine gemeinsame Zukunft
Bruder-Schwester-Geschichte: Gegenpole
Initiationsgeschichte: Vom Erwachsenwerden eines Jugendlichen

Zum Inhalt des Buches

Zwei Erzählstränge führen zum entscheidenen Ereignis hin: In Rückblenden ( Präteritum,1973, erinnerte Zeit) werden zum einen die Erlebnisse des Ich-Erzählers, Hans Bronstein, zur Zeit seines Abiturs bis zum (Herz-)Tod seines Vaters im August 1973 wiedergegeben. Eine weitere Zeitebene ist zum anderen die Zeit nach dessen Tod. Die Gegenwart ( Präsens, 1974, erlebte Zeit) des Erzählers ist im Jahr 1974 angesiedelt.
Es gibt drei zeithistorische Hinweise: Die Weltfestspiele der Sozialistischen Jugend in Ost-Berlin 1973, der Tod Walter Ulbrichts 1973 und der Rücktritt Willy Brandts 1974.
Elf Tage lang dauert 1973 ein Verhör, unter Folter, des ehemaligen KZ-Aufsehers Arnold Heppner in einem entlegenem Waldhaus bei Berlin. Elf Tage lang versucht der Abiturient Hans Bronstein seinen Vater Arno Bronstein davon zu überzeugen, dass es ein großes Unrecht ist, diesen Mann gefangen zu halten. Vater und Sohn vertreten völlig entgegengesetzte Standpunkte und vernünftige Gespräche und Verständigung sind nicht möglich. Arno Bronstein und seine zwei Freunde Gordon Kwart und Erik Rotstein, alle drei Opfer des Nationalsozialismus im Lager Neuengamme, sind von ihrem Handeln überzeugt.
Hans Bronstein erzählt rückblickend von der Entdeckung dieser Vorgänge im Waldhäuschen seines Vaters, in welcher Hans sich häufig mit seiner Freundin Martha zu einem Rendevous getroffen hatte. Zu seinem Unglück entdecken ihn die Geiselnehmer und er fängt an, sich in Lügen zu verstricken. Martha erzählt er allerdings nichts von den Geschehnissen im Häuschen und seine Gespräche mit dem Vater eskalieren. Der Vater sieht ihn sogar als Feind an.
Hinweise auf die zerrüttete Vater-Sohn-Beziehung sind z.B. auch die stark vernachlässigte/ verschmutzte Wohnung, die mageren bis gar keine Einkäufe, so daß Hans hungern muß und durch die Entdeckung, dass der Vater eines nachts mit seinen Freunden im Nebenzimmer Jiddisch spricht, fühlt er sich hintergangen.
Die siebzehn Jahre ältere Schwester Elle lebt in einer psychiatrischen Anstalt. Zu ihr hat Hans guten Kontakt. Er besucht sie und vertraut sich ihr an. Aber die erhoffte Hilfe kann sie ihm nicht geben.
Vor seiner Abitur-Schwimmprüfung schlägt Hans im Duschraum seinen Mitschüler Norbert Waltke zu Boden. Hans projiziert in Waltkes Verhalten Nazimethoden, die in ihm offene Aggressionen auslösen. Waltke nimmt nach einem Lehrer-Schüler-Gespräch die Entschuldigung von Hans an, doch Hans ärgert sich weiter: (S. 47)
„ Beim Abtrocknen verstand ich den Sinn seiner Worte. Ich hörte förmlich, womit mein Lehrer Sowade ihn besänftigt hatte: Das Schild, ( Anm. zum Schild in der Dusche: Badekleidung sei beim Duschen abzulegen) du hast schon recht, es gilt für alle, keine Frage, auch für ihn ( für Hans). Aber die Angelegenheit hat noch einen zweiten Aspekt, von dem du ( Waltke) nichts wissen konntest, und zwar: Hans ist Jude. Es kann da leicht Empfindlichkeiten geben, von denen unsereins nicht ahnt. Ich hoffe, du verstehst.“Hans ärgert sich, denn jetzt ist ihm eine Rolle zugewiesen worden, die er nicht haben will und mit deren Implikationen er sich nicht identifizieren kann: Die Rolle des Juden und damit Opfer, an dem wieder gutzumachen ist.
Hans hatte nämlich, gedankenverloren über die Waldhaussituation, vergessen, seine Badehose beim Duschen auszuziehen. Und der Lehrer erklärte Waltke das warum: Das Glied der Juden sei beschnitten und deshalb ... . Hans hätte gerne diesen Irrtum aufgeklärt, denkt sich seinen Teil jedoch nur: „ ... ich bin, entgegen Ihrer Vermutung, nicht beschnitten.“
Weitere Konflikte, nun auch mit Martha, die eine Nebenrolle in einem Filmprojekt annimmt, in der sie ein jüdisches Mädchen verkörpert. Hans kann das überhaupt nicht befürworten. Nur Martha geht mit der jüdischen Zugehörigkeit viel besser um als Hans und geht selbstbewusst ihren beruflichen und persönlichen Weg. Die Trennung des Paares ist offensichtlich.
Der Tod von Arno Bronstein stürzt Hans in eine Krise. Die Eltern von Martha, Herr und Frau Lepschitz, nehmen Hans bei sich auf. Ein Jahr lang wird er nun bei ihnen in der Wohnung leben, wie „eine Stubenfliege“.
(Im Judentum wird das Trauerjahr „Awelut“ genannt)
Nach dem Jahr sucht er, mit der Hilfe von Martha, die ihm wenigstens Freundin geblieben ist, eine neue Wohnung und wird Philosphiestudent.

29
Dez
2009

Vielleicht kenne ich mich nicht

gut genug in amerikanischer Geschichte aus. Deshalb hat mir die „Jumping Frog“-Recherche besonders viel Spaß gebracht.

Es gab tatsächlich einen Daniel Webster und er war im Amerika des vorletzten Jahrhunderts ein Politiker:
vielleicht hat er die Menschen in seinem politischem Umfeld nach seinen Vorstellungen manipuliert,
vielleicht hat er das so lange gemacht, bis der Krug, den er zum Brunnen trug, brach,
vielleicht wurde er aber auch von einem „besseren Politiker belehrt“,
vielleicht hatte dieser ihm „den Bauch mit Vogelschrot“ vollgestopft,
vielleicht konnte er deshalb nicht mehr politisch agieren,
vielleicht war er aber auch wirklich nur der „Frosch“gehilfe eines Glücksspielers, eines Betrügers, der versucht hatte, das Gesetz und das Glück in eigene Hände zu nehmen,
vielleicht wollte Mark Twain die Heucheleien und Verlogenheiten der damaligen lokalen amerikanischen Gesellschaft aufzeigen.

Sicher wird diese Form der Literatur als Local Color Fiction* bezeichnet.
Sicher liegt ihr Höhepunkt zwischen 1870 und 1900.
Sicher fällt die Literatur von Mark Twain in die „Epoche des Realismus“.
Sicher ist, das mir die Bücher, die ich von Mark Twain gelesen habe, sehr gut gefallen.

* Local Color Fiction bezeichnet eine Form der Regionalliteratur in Amerika, Höhepunkt s.o.

Link zur Erzählung vom "The Notorious Jumping Frog of Calaveras County"
http://www.kreklau.de/mark/schriftsteller/twain/springfrosch.html

Mark-Twain-Karrikatur

28
Dez
2009

Der berühmte Springfrosch der Provinz Calaveras

Suedtirol-Nr-2-015
jbs

Eine Erzählung in einer Erzählung von Mark Twain.
Daniel Webster, ein dressierter Frosch, der durch antrainierte hohe Sprünge seinem Herrchen, Jim Smiley, beim Wetten zum Siegen verhilft, wird eines Tages von einem Wettkampfgegner mit Vogelschrot gefüttert, ohne dass es Smiley mitbekommt. Wegen des plötzlichen massiven Gewichtes kann der Springfrosch keine Bewegung mehr machen und der Wettgegner gewinnt.
Er zieht mit seinem Geldgewinn weiter. Jim Smiley entdeckt den Betrug und will den Kerl zur Rede stellen, der Leser wird jedoch enttäuscht, er erfährt den Schluß nicht, denn hier hört die Erzählung in der Erzählung auf.

Mark Twain erzählt die Geschichte eines kleinen Gauners, der eines Tages durch einen anderen Gauner hineingelegt wird.
Eine kleine schöne Sonntagserzählung.

23
Dez
2009

Wie wahr: ein kluges Buch!

Louis Begley, Rechtsanwalt und Schriftsteller, behandelt in seinem Buch „ Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte“ ( 2009 erschienen ) ein Justizverfahren mit weittragenden innenpolitischen Folgen, die zu einer schweren Krise in Frankreich im ausgehenden 19. Jahrhundert geführt hat.

Eine ausführliche und sehr gute Rezension lässt sich unter http://begleitschreiben.twoday.net/stories/5713763/ nachlesen.
Gregor Keuschnig geht in seiner Rezension u.a. auf den verlorenen deutsch-französischen Krieg 1870/71 ein sowie auf die Terroranschläge vom 11. Septmeber 2001, diese furchtbaren Ereignisse ziehen ein hysterisches politisches Klima nach sich.

Zum Buch:
Der jüdische Offizier Dreyfus wird vom französischen Kriegsgericht 1894 wegen Landesverrat verurteilt, degradiert und auf die Teufelsinsel deportiert. Gefälschte Dokumente, falsche Schriftexpertisen, falsche Zeugenaussagen, ein von Anfang an versumpftes und verruchtes Gerichtsverfahren, lassen dem von Anfang an Verurteiltem keine Chance einer Rechtfertigung oder Verteidigung.
Unter unmenschlichsten Verhältnissen, Redeverbot, angekettet sein, Tag-und Nachtbewachung, überlebt er auf der Gefängnisinsel dieses Höllenszenario fünf Jahre lang (1894 bis 1899 ).
Die französische Nation spaltet sich in dieser Zeit in sog. Dreyfusards und Anti-Dreyfusards und der Dreyfus-Prozeß wird zur Staatsaffäre.
( Unbedingt lesenswert! Siehe auch eingefügte Karikatur).
Nach der Begnadigung von Alfred Dreyfus 1899 wird er jedoch erst 1906 rehabilitiert und stirbt 1935 vergessen in Paris.

Aus der Rezension von Gregor Keuschnig:
„ Auch die USA wurde durch den ersten Angriff auf amerikanischen Boden seit Pearl Harbor gedemütigt. In beiden Fällen handelte es sich um ein „einschneidenes nationales Trauma“. Die Bush/Cheney-Administration nutzte die Terroranschläge „als Legitimation dafür, in den USA alamierende Risse in die Herrschaft des Gesetzes zu sprengen,“ während restaurativen Kräften im Frankreich des 19. Jahrhunderts die Dreyfus-Affäre als willkommene Gelegenheit diente, gesellschaftliche Veränderungen aufzuhalten.“

Guantanámo liegt der Teufelsinsel näher, als man glauben mag. „Es geht um Machtmißbrauch und Rechtlosigkeit und beide Justizskandale,“ betont Louis Begley, „sind nur in psychologisch verunsicherten Gesellschaften möglich gewesen.“ „ Die Bedingungen in Guantanámo sind ein umheimlicher Widerhall der Zustände auf der Teufelsinsel.“
Wie wahr, wenn man dieses Buch gelesen hat und in den letzten Jahren den Guantanámo-Berichterstattern Glauben schenken darf.
Louis Begley war ein Jurist und das merkt man dem Buch an. Er nimmt akribisch die Fakten unter die Lupe, beschreibt ausführlich und lässt die Personen regelrecht auferstehen. Das macht das Buch auch so glaubwürdig.
Ein spannendes, unbedingt lesenswertes Buch!

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"Für ein gutes Tischgespräch kommt es nicht darauf an, was sich auf dem Tisch, sondern auf den Stühlen befindet" ( passt in jede Zeit hinein)
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"Vielleicht war vor den Lippen schon das Flüstern da und ohne Bäume tanzte schon das Laub."Ossip Emiljewitsch Mandelstam

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